Ansturm an der Tafel

TRIER/BITBURG. Manager träumen von solchen Zahlen: 30 Prozent mehr Kunden in den vergangenen zwei Jahren, 230 Neueröffnungen in ganz Deutschland. Für Sozialpolitiker ist der Boom bei den Tafeln, die Lebensmittel in Supermärkten oder Restaurants einsammeln und an Arme verteilen, allerdings eher ein Alptraum. Zeigt er doch, wie stark die Gruppe der Bedürftigen gewachsen ist.

Wer regelmäßig zur Trierer Tafel geht, trägt neuerdings einen Besucherpass mit aufgedruckter Nummer im Portemonnaie. Hat er eine Zahl zwischen eins und 15, darf er gleich bei der Eröffnung in die Lebensmittel-Ausgabe. Die Nummern 16 bis 30 kommen eine Viertelstunde später dran - und so weiter. Jedesmal beginnt eine andere Gruppe, damit nicht dieselben immer erst am Schluss an die Reihe kommen. "Mit diesem System vermeiden wir lange Wartezeiten und Menschenmassen vor der Ausgabestelle", sagt Annette Laux. Sie ist Chefin des Sozialdienstes Katholischer Frauen (SKF), des Trägers der Trierer Tafel. "Wir haben 25 bis 30 Prozent mehr Besucher als vor der Einführung von Hartz IV", berichtet Laux. Damit liegt die Trierer Tafel im Bundes-Trend. Seit die Sozialreform im Januar 2005 in Kraft getreten sei, kämen auch Personengruppen, die früher nicht zur "Stammkundschaft" gezählt hätten, sagt Beate Weber-Kehr, Vize-Vorsitzende des Bundesverbands der Tafeln: Akademiker zum Beispiel oder ehemalige Geschäftsleute. Immer häufiger stellten sich auch allein Erziehende und Geringverdiener an. Derzeit gibt es in Deutschland 630 Tafeln - 2004 waren es noch 400. Und die Zahl steigt weiter. In Bitburg zum Beispiel ist gerade die zweite Tafel in der Region gegründet worden, am 7. Dezember werden dort erstmals Lebensmittel ausgegeben. "Es gibt um uns herum viel mehr Armut, als den meisten Menschen bewusst ist", sagt Edgar Bujara. Der Bitburger Geschäftsmann gehört zu den Initiatoren der neuen Tafel. Durch andere Wohltätigkeits-Aktionen habe seine Familie gute Kontakte zur Caritas, erzählt er. "In deren Auflistungen, wo Hilfsbedarf besteht, kommen Lebensmittel-Pakete ganz weit vorn." Die Trierer Tafel hat derweil neben der schon länger bestehenden Lebensmittel-Ausgabe in Mariahof weitere Außenstellen in Ehrang und Konz gegründet. "Um dem Bedarf gerecht zu werden und unser Angebot zu dezentralisieren", wie Annette Laux erklärt. Bundesweit leben nach Tafel-Angaben 41 Prozent der Nutzer von Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe. Elf Prozent sind obdachlos, fast jeder zweite ist Rentner, Migrant oder allein erziehend. Bei der Trierer Tafel stellten Bezieher staatlicher Unterstützungen die größte Gruppe, schätzt Laux, dicht gefolgt von Rentnern. "Es kommen allerdings auch immer mehr Menschen, die in Arbeit sind, aber mit ihrem Lohn nicht auskommen - oft handelt es sich dabei um Familien mit Kindern", berichtet die SKF-Chefin. Sie ermuntert Betroffene, nicht ihr letztes Geld für Lebensmittel auszugeben, sondern frühzeitig zur Tafel zu kommen. "So kann man sich Freiräume schaffen und das gesparte Geld zum Beispiel für Freizeit mit den Kindern ausgeben." Obwohl die Hemmschwelle, zur Lebensmittel-Ausgabe zu kommen, gesunken sei, vermisse sie eine Gruppe dort, sagt Annette Laux: "Wir wissen aus Statistiken, dass viele ältere Frauen von 200 oder 220 Euro Rente leben. Die würde ich gerne bei der Tafel sehen." Die aktuelle Diskussion um eine neue Armut verfolgt die Frau von der Trierer Tafel mit zweispältigen Gefühlen. Die Problematik sei seit Jahren bekannt, kritisiert sie - und hofft andererseits, dass nun ein entsprechendes Bewusstsein entsteht für das, was sie als das Grundproblem ausmacht: "Der frühere gesunde Mittelstand bricht weg. Während es immer schon mal mehr, mal weniger Arbeitslose gegeben hat, klafft die Schere zwischen arm und reich heute immer weiter auseinander." d Der Trierische Volksfreund widmet sich in dieser Serie dem gesellschaftspolitischen Problem der "Neuen Armut".

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