Arbeitsrechtler Thüsing schlägt Einführung einer unverbindlichen Zwangsschlichtung in Tarifkonflikten vor

Berlin · Am ersten Tag des bundesweiten Lokomotivführerstreiks bei der Bahn wurde vor allem von CDU-Politikern gestern nach dem Instrument einer Zwangsschlichtung gerufen. Wäre sie sinnvoll und rechtlich haltbar?

 Arbeitsrechtler Gregor Thüsing. Foto: Barbara Follmann

Arbeitsrechtler Gregor Thüsing. Foto: Barbara Follmann

Foto: Barbara Follmann

Unser Berliner Korrespondent Werner Kolhoff sprach darüber mit dem renommierten Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing, der einen eigenen Vorschlag hat.

Wegen des GDL-Streiks wird jetzt die Einführung einer Zwangsschlichtung ins Spiel gebracht. Was halten Sie davon? Gregor Thüsing: Es ist der achte Streik in der Auseinandersetzung zwischen Bahn und GDL, und die Öffentlichkeit ist, anders als bei anderen Unternehmen, massiv betroffen. Das führt zu der Frage, ob es nicht angemessenere Wege geben muss, um zu einer Tarifeinigung zu kommen, ohne die Kampfkraft der Gewerkschaften zu schwächen. Die freiwillige Schlichtung war da schon immer ein bewährtes Instrument. Wenn die Situation so verfahren ist wie jetzt, muss man auch über einen obligatorischen Schlichtungsversuch sprechen.

Den dann beide Seiten akzeptieren müssen?
Thüsing: Nein, aber es muss zumindest einmal der Versuch einer Schlichtung durchexerziert worden sein. Im aktuellen Fall kommt es ja nicht einmal dazu.

Ab wann soll denn die obligatorische Schlichtung greifen. Nach einem Jahr erfolglosen Verhandelns wie bei der Bahn?
Thüsing: Sie sollte immer dann versucht werden, wenn eine Seite es will. Es muss zuvor verhandelt worden sein, das ist klar. Aber sie kann bereits vor dem ersten Streik angewendet werden. Immer mit dem Vorbehalt, dass das Ergebnis nicht bindend ist. Es gibt aber einen Anhaltspunkt, was ein neutraler Dritter als angemessene Lösung betrachtet, und trägt so zur Versachlichung bei. Für keine Seite ist das risikolos.

Wirft das nicht sofort verfassungsrechtliche Fragen auf, denn mindestens für die Zeit der Schlichtung wäre das Streikrecht der Gewerkschaften ausgesetzt.
Thüsing: Wer Regelungen zum Tarif- und Arbeitskampfrecht macht, muss verfassungsrechtlich immer vorsichtig vorgehen. Allerdings spricht der Schutz von Interessen Dritter, nämlich der indirekt von einem Streik Betroffenen, ganz nachdrücklich für eine solche Regelung. Auf sie muss der Gesetzgeber auch Rücksicht nehmen. Es gibt im Ausland zahlreiche Vorbilder für solche Regelungen.

Sollte die obligatorische Schlichtung noch quasi in letzter Minute in das Gesetz zur Tarifeinheit eingefügt werden, das im Juni endgültig im Bundestag verabschiedet werden soll?
Thüsing: Wenn nicht jetzt, wann dann? Der Gesetzgeber wird das Arbeitskampfrecht auf absehbare Zeit sonst nicht mehr regulieren.

Beim Bahnstreik kommt das wohl zu spät. Wie wird dieser verfahrene Konflikt ausgehen?
Thüsing: Das ist in der Tat so, weil jenseits der Tarifforderungen Positions- und Machtkämpfe ausgefochten werden. Eine Lösung bestünde in einem koordinierten Vorgehen von EVG und GDL, wozu aber beide Gewerkschaften nicht bereit sind. Also wird sich die Politik hier einschalten müssen, um den ein oder anderen zur Vernunft zu bringen. So wie Ex-Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee es im GDL-Konflikt vor sieben Jahren getan hat.

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