"Arbeitswelt wird weiblicher", meint Experte Reinhardt

Was ist wichtiger, Lebensstandard oder Lebensqualität, Zeit oder Geld? Solche Fragen könnten künftig wichtiger werden. Das jedenfalls sagt der Zukunftsforscher Ulrich Reinhardt voraus.

"Arbeitswelt wird weiblicher", meint Experte Reinhardt
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Welche Entwicklung wird Deutschland 2017 prägen?

Ulrich Reinhardt: Der Trend zur nationalen Abschottung. Geschlossene Grenzen, die Betonung eigener Interessen und Debatten um "wir" und "die anderen" nehmen zu. Politik, Wirtschaft, Medien und Institutionen sind gefordert, langfristige Lösungen zu präsentieren.

Welcher Trend wird wichtig?
Reinhardt: Die Sehnsucht nach Beständigkeit. In einer komplexeren Welt steigt das Bedürfnis nach Konstanz und Verlässlichkeit. Viele Bürger haben das Gefühl, mit dem Tempo, in dem sich die Welt verändert, nicht mithalten zu können. Parallel schwindet das Vertrauen in Politik, Medien und Institutionen. Einen Bedeutungszuwachs erfahren dagegen Familie, Freunde und Nachbarschaft.

Was wird den Alltag besonders stark verändern?
Reinhardt: Die Feminisierung der Arbeitswelt. Seit Jahren erlangen mehr Frauen als Männer das Abitur, sie haben die besseren Noten und studieren häufiger. Unternehmen werden den Wettbewerbsvorteil durch mehr weibliche Führungskräfte erkennen und nutzen. Mehr Frauen werden als Hauptverdiener, mehr Männer in Teilzeit tätig seien und den Nachwuchs oder die Eltern betreuen. Technische Entwicklungen wie automatisiertes Fahren, 3-D-Druck oder die Digitalisierung in der Arbeitswelt werden dagegen noch Zeit benötigen, um wirklich das Alltagsleben zu beeinflussen. Wenn eines Tages die Technik so weit ist, wird sie das Leben nicht revolutionieren, sondern nur optimieren.

Wovor sollten wir uns hüten?
Reinhardt: Vor einem verklärten Blick auf die Vergangenheit und Angst vor der Zukunft. Früher war nicht alles besser. Zukünftig wird die Lebenserwartung weiter steigen, die Kindersterblichkeit sinken, die Bürger werden weniger arbeiten und mobiler sein, die medizinische Versorgung wird noch besser. Hüten wir uns also vor unbegründeter Zukunftsangst und zeigen wir einen begründeten Zukunftsoptimismus.

Wo liegen die größten Chancen, wo die größten Risiken?

Reinhardt: Das Risiko ist groß, schnell pauschale Antworten zu suchen und sich blind auf die Technik zu verlassen. Eine Chance liegt darin, darüber nachzudenken, was wirklich wichtig im Leben ist. Soll der Mensch der Wirtschaft dienen oder die Wirtschaft dem Menschen? Was ist wichtiger, Lebensstandard oder Lebensqualität, Zeit oder Geld?Extra

Professor Ulrich Reinhardt (46) ist seit 2011 Wissenschaftlicher Leiter der "Stiftung für Zukunftsfragen" in Hamburg. Er forscht unter anderem zu gesellschaftlichem Wandel, Freizeit und Reisen. dpa

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