Armutszeugnis

Während seines Rückflugs vom Sommerurlaub ließ US-Präsident George W. Bush am Mittwoch sein Flugzeug 30 Minuten über New Orleans und den anliegenden Katastrophen-Regionen kreisen – und sprach anschließend von "schrecklichen Bildern" und einer "historischen Tragödie".

Während seines Rückflugs vom Sommerurlaub ließ US-Präsident George W. Bush am Mittwoch sein Flugzeug 30 Minuten über New Orleans und den anliegenden Katastrophen-Regionen kreisen - und sprach anschließend von "schrecklichen Bildern" und einer "historischen Tragödie". Jene Menschen in der nun fast vollständig überfluteten Jazz-Metropole, die sich am gleichen Tag zu tausenden auf einer hochliegenden Autobahnbrücke in der Innenstadt versammelt hatten, dürfte er bei seinem Tiefflug vermutlich auch gesehen haben. Doch die erschöpften und durchnässten Hurrikan-Opfer hofften nicht auf eine präsidiale Visite aus der Luft, sondern auf die einfachen Dinge des Lebens: Frischwasser, Nahrung und einen trockenen wie kühlen Schlafplatz angesichts tropischer Temperaturen.Dass auch am Tag drei nach dem verheerenden Werk von "Katrina" in New Orleans noch Chaos, Plünderungen und unzählige weiter auf umspülten Hausdächern oder in Dachgeschossen auf Rettung wartende Bürger das Stadtbild prägen, ist ein Armutszeugnis für die mächtigste Industrie-Nation der Welt. Das Schneckentempo, mit dem Hilfeleistungen in Gang kommen, muss erschüttern und bestätigt einmal mehr ein gängiges Vorurteil: Wenn es wirklich darauf ankommt, versagt die Bürokratie. Man darf sich deshalb erst gar nicht vorstellen, welche Folgen ein erneuter massiver Terroranschlag - womöglich mit Giftgas oder atomarem Material - in einer amerikanischen Großstadt haben würde. Die Gründe für diese blamable Vorstellung zu einem Zeitpunkt, wo es für viele Betroffene noch um Leben oder Tod geht, sind vielfältig: Zum einen scheint George W. Bush mitsamt seinem Kabinett bisher auf seinem Urlaubssitz in Texas nicht in der Lage gewesen zu sein, schnell und effektiv Entscheidungen zu treffen. Und zum anderen leidet das Land, wie man derzeit in Regierungskreisen hinter vorgehaltener Hand einräumt, unter einem eklatanten Mangel an Soldaten, Nationalgardisten und Hubschraubern. Denn diese befinden sich derzeit bis auf wenige Reserven an einem Ort, wo die US-Regierung glaubt, weiter mit aller Macht Aufbau-Hilfe leisten zu müssen: im Irak.

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