Auf Vorrat denken

TRIER/BERLIN. Tipps aus Trier für Joschka Fischer: Eine Gruppe angehender Politikwissenschaftler der Uni präsentiert heute dem Planungsstab des Außenministeriums in Berlin Empfehlungen für die deutsche Außenpolitik. Sie sind das Ergebnis eines einzigartigen Projekts.

Wie könnte die Welt 2020 aussehen? Und wie kann die deutsche Außenpolitik dann erfolgreich sein? Nein, man muss kein Prophet sein, um Antworten auf diese Fragen zu haben: Politik-Student an der Uni Trier tut‘s auch. Acht junge Politologen haben in einem Projektseminar ihres Professors Hanns W. Maull und der Abteilung Forschung, Technik und Gesellschaft der DaimlerChrysler AG in Berlin Modelle verschiedener "Zukünfte" entwickelt. Daraus erarbeiteten sie Handlungsempfehlungen für die deutsche Außenpolitik, die sie heute in Berlin dem Planungsstab des Auswärtigen Amtes vorstellen.Was zunächst nach wilden Spekulationen klingt, war in Wirklichkeit einjährige, systematische Arbeit. Die Nachwuchs-Wissenschaftler entwickelten 13 Faktoren, mit denen sich die Welt in außenpolitischer Hinsicht beschreiben lässt - etwa Europäische Integration oder die Zahl der dominierenden Weltmächte. "Der Kick war, zu überlegen, was die Welt im Innersten zusammenhält", berichtet Teilnehmer Veit Swoboda. Für jeden Faktor definierten die Studenten verschiedene Entwicklungen: Etwa "nimmt zu", "bleibt gleich", "nimmt ab" für die Integration und "ein Pol", "viele Pole" oder "diffuse Machtverteilung" bei den Weltmächten. Dann kamen sämtliche Faktoren samt ihrer denkbaren Entwicklungen in einen großen - elektronischen - Topf, und aus allen möglichen Kombinationen wurden mit Hilfe eines speziellen Computerprogramms von DaimlerChrysler vier Szenarien ausgewählt, die stark voneinander abweichen. Sich auf vier von unendlich vielen möglichen Entwicklungen konzentrieren zu müssen - ist das nicht unbefriedigend?"Da prallten Weltbilder aufeinander"

Nein, sagen die Studenten, dadurch, dass die Szenarien weit auseinander lägen, sei ein breites Spektrum abgedeckt worden. Michael Franz meint: "Die Welt wird sich mit relativ großer Wahrscheinlichkeit in eine dieser Richtungen entwickeln." Simon Musekamp stellt klar: "Es geht uns ja nicht um eine Vorhersage, sondern um ein Denken auf Vorrat."An diesem Punkt wird es richtig spannend. Nun erarbeiteten die Studenten die zu den vier Szenarien gehörigen Geschichten: Wie sähe eine Welt aus, auf die diese Beschreibung zutrifft? "Da prallten Weltbilder aufeinander", erzählen die Studenten. Jeder stellte sich etwas anderes vor, musste sich mit den Auffassungen der anderen auseinander setzen, seine eigenen in Frage stellen, bisher für ihn Undenkbares denken. ",Wenn Sie sich das nicht vorstellen können, ist ihr Kopf zu klein‘, hat man uns bei der DaimlerChrysler AG gesagt", berichtet Julia Rehmet. Doch die Streitgespräche trugen Früchte: Fast immer fand die Gruppe Kompromisse. "Die nervenaufreibenden, endlosen Diskussionen haben am meisten gebracht", sagt Michael Franz. Der nächste Schritt: überlegen, wie eine deutsche Außenpolitik aussehen müsste, die in jeder der vier "Zukünfte" erfolgreich sein könnte. Da die Szenarien weit auseinander lägen, sei eine Strategie, die in allen vieren bestehen könne, "nicht so ganz falsch", argumentieren die Politikwissenschaftler. Ihre wichtigsten Ergebnisse: Die außenpolitische Kompetenz der EU soll ausgeweitet und eine "EU-Armee" aufgebaut werden; die Uno braucht eine Stärkung; eine Aufwertung der deutschen Außenpolitik ist ratsam - zum Beispiel durch eine verstärkte Einbeziehung von Expertenwissen; die Rohstoffversorgung muss gesichert werden - etwa durch eine breitere Streuung der Quellen.Vor der Abreise nach Berlin schwankten die Studenten zwischen Vorfreude und Lampenfieber: "Es wird spannend sein, dem Planungsstab gegenüber zu sitzen und ihm zu sagen, was er unserer Meinung nach tun sollte", sagt Katharina Dahl. Auch Hanns W. Maull, Professor für Außenpolitik und Internationale Beziehungen, ist gespannt auf die Reaktionen. Für ihn ist das Seminar angesichts von Lobeshymnen der Teilnehmer allerdings schon jetzt ein voller Erfolg. In dieser Form sei das Projekt sicher eine einmalige Sache, sagt Maull. Die Technik der Szenario-Bildung werde aber aber weiterhin ein Thema bleiben. Es sind also weitere spannende Blicke in die Zukunft zu erwarten.

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