Auferstehung aus den Ruinen des Terrors

Paris · Die Anschläge von Paris haben Frankreich erschüttert. Mit nüchternen Zeremonien erinnert das Land an die Terrornacht vom 13. November. Und der schwer getroffene Konzertsaal "Bataclan" wagt den Neuanfang. Er ist zum Zeichen des Widerstands gegen den Terrorismus geworden.

Paris. Schwarz-rote Stühle stehen auf der Terrasse des "Baromètre", das schon am späten Vormittag gut besucht ist. Unauffällig hängt an der Eingangstür ein DIN-A-4 großer Zettel, der eine geballte Faust mit einem Pinsel in der Hand zeigt. "Die Kunst jenseits der Barbarei des Terrorismus" steht darauf. Gerne geht Véronique, die Chefin des Cafés, zum schwarzen Karton neben der Theke, auf dem ihre Kunden einen Fingerabdruck hinterlassen können. Ein Schulterschluss aus Fingerfarben zum Jahrestag der schwersten Anschläge, die Frankreich je erschütterten. Hautnah hat Véronique die Schreckensnacht miterlebt, denn das "Baromètre" liegt nur wenige Meter vom Konzertsaal Bataclan entfernt.
"Ich war auf der Terrasse, als ich die ersten Schüsse hörte", schildert die energische Blonde den Abend des 13. November 2015, an dem es noch spätsommerlich warm war. Schnell reagierte die Endfünfzigerin und holte alle ihre Kunden ins Innere. "Wir lagen überall auf dem Boden, sogar in der Küche." Nach der Erstürmung des Bataclan beschlagnahmte die Polizei ihre Bar, um die Überlebenden des Terrorangriffs dort unterzubringen. Ein "Leuchtturm" in dunkler Nacht sei das "Baromètre" gewesen, schrieb die Zeitschrift "Paris Match" hinterher.
Ein Jahr später ist scheinbar wieder Normalität eingekehrt am Boulevard Voltaire. Vor der Wiedereröffnung am Samstagabend gingen Bauarbeiter in dem legendären Gebäude mit der rot-gelben Fassade ein und aus, in dem schon Prince und Joan Baez auftraten. Im Innern sieht die berühmte "Salle de concert" nach der Renovierung so aus wie in der Horrornacht: Dasselbe Mobiliar, dieselben Farben an den Wänden. Doch alles ist neu gemacht. "Nichts sollte von dem Abend übrig bleiben", sagt Bataclan-Chef Jérôme Langlet.
Zum Symbol des Widerstands gegen den Terrorismus ist sein Saal geworden, in dem seit 1865 Musik gemacht wird. Deshalb waren auch die Karten für das erste Konzert, das Sting am Samstagabend dort gab, innerhalb einer halben Stunde ausverkauft. Der Brite begann seinenzweistündigen Auftritt mit einer Schweigeminute und versprach: "Wir werden sie nicht vergessen."
"Es war wie im Krieg"


Ein Jahr zuvor waren es die "Eagles of Death Metal" gewesen, die auf der Bühne sangen, als um 21.40 Uhr mitten im Lied "Kiss the Devil" drei Männer mit Kalaschnikows das Feuer auf die 1500 Zuhörer eröffneten. Stundenlang dauerte der Angriff, bevor die Polizei den Saal stürmte. "Es war furchtbar, wie im Krieg. Sogar die Gerichtsmedizin, die schon viel gesehen hat, kam traumatisiert wieder heraus", schilderte ein Polizist hinterher die Szene.
Pilgerzug der Solidarität


Dort, wo der Hass blutige Wunden schlug, versammelten sich schon am nächsten Morgen die Pariser. Es war der Auftakt zu einem wochenlangen Pilgerzug der Solidarität. Tausende Briefe und Zeichnungen, sorgsam im Stadtarchiv von Paris gesammelt, zeugen heute noch davon. "Die Worten blühten auf dem Platz der Republik und überall dort, wo die Pariser zusammenkamen, um in unbesiegbarer Würde ihren Wunsch zu zeigen, sie selbst zu bleiben", schreibt Bürgermeisterin Anne Hidalgo in ihrem Vorwort zu dem Buch "Je suis Paris", in dem tausend der Botschaften gesammelt sind. Vom Regen verwischt, von Kerzenflammen verrußt, sind sie Zeugen des Willens, sich von Terroristen nicht die Lebensfreude nehmen zu lassen. "Zusammen widerstehen wir dem Terrorismus" schreibt ein Kind mit vielen Rechtschreibfehlern auf einem Zettel, der am Bataclan gefunden wurde.
Zum Jahrestag der Anschläge sprechen die meisten Angehörigen nur zögerlich über ihren Verlust. Eine Ausnahme ist Georges Salines, der die Opfervereinigung "13. November - Brüderlichkeit und Wahrheit" leitet. Er hat ein Buch über seine Tochter Lola geschrieben, die im Bataclan starb. "Ein ruhiges Leben bekommt plötzlich eine emotionelle Dichte, die dem Alltag jede Banalität nimmt", bekennt der Arzt in "L'Indicible de A à Z" (Das Unsagbare von A bis Z), einer Art Alphabet der Trauer.
Lola gehörte zu jener "Generation Bataclan", die die Terroristen im Visier hatten: Unter 30, multikulturell, weltoffen. "Es war diese Harmonie, die sie zerstören wollten, diese Freude, die sie in den Trümmern ihrer Bomben begraben wollten", sagte François Hollande bei der Trauerfeier für die 130 Toten. Am Sonntag hat der Präsident zum Jahrestag an jedem Anschlagsort eine Plakette enthüllt - auch am Bataclan, wo 90 Menschen starben. Und abends lud Véronique im "Baromètre" zu einem Konzert für den Frieden ein. Verarbeitet hat die Frau mit dem goldenen Kreuz um den Hals jene Nacht noch nicht, in der sie mitansehen musste, wie eine Welt zusammenbrach. "Je mehr Zeit vergeht, desto schwerer fällt es mir, damit umzugehen. Ich zweifle an der Menschheit."

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