Auftakt zum Herbst-Theater

Ende Juni war es dem Kanzler tatsächlich gelungen, Optimismus zu inszenieren. Die Nation durfte sich auf eine überraschend vorgezogene Steuerreform freuen, Entlastungen winkten und überhaupt schien sich alles zum Besseren zu wenden.

Natürlich versuchte Gerhard Schröder, dieses schöne Gefühl auch an seinem ersten Arbeitstag nach der Sommerpause zu verbreiten. Doch die Aufbruchstimmung hat sich verflüchtigt. Rot-Grün ist gerade dabei, sich auf grandiose Weise zu verheben. Was das Kabinett gestern in drei Stunden abhakte, wäre (Zünd-)Stoff gleich für mehrere Wahlperioden gewesen. Noch nie hat eine Bundesregierung einschneidende Arbeitsmarktregelungen, Haushalts- und Steuergesetze sowie Gemeindefinanz- und Sozialreformen gleichzeitig angepackt. Sicher, politisch hat sich eine Menge angestaut. Viel zu lange verloren sich unsere Volksvertreter im fruchtlosen Palaver. Die scheinbar plötzlich erwachte Tatkraft müsste eigentlich jedermann erfreuen. Statt dessen herrscht Katerstimmung, weil zahlreiche Paragraphen reichlich unausgegoren daher kommen. In den vergangenen Wochen jagte ein Vorschlag den anderen. Und alle zusammen sorgten für soviel Verwirrung, dass selbst Fachleute Mühe haben, sich zurecht zu finden. Otto-Normalbürger fühlt sich ohnehin überfordert. Das Vertrackte ist, dass alles mit allem zusammen hängt. Zum Beispiel sparen die Kommunen über die Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe Geld, das sich Kassenwart Eichel zum Teil wieder über die Länder zurück holen will. Dabei schreckt er nicht davor zurück, auf ihre Kosten höhere Schulden anzupeilen, was selbst SPD-Regierungschefs dankend ablehnen. Bluten sollen auch Freiberufler, Häuslebauer und Pendler. Zweifellos bringt etwa die Pendlerpauschale problematische Nebenwirkungen mit sich. Aber die werden nicht eben kleiner, wenn künftig nur noch große Entfernungen zum Arbeitsplatz belohnt werden. Der Bürger hat ohnehin den Eindruck, nur noch zum Stopfen von Haushaltslöchern her zu halten. Da gerät selbst das Vorziehen der Steuerentlastung - gestern übrigens mitbeschlossen - nur noch zu einer Randerscheinung. Denn was der Arbeitnehmer in die eine Tasche kriegt, wird ihm aus der andern wieder genommen. Hier geht es längst nicht nur um Eigenheimzulage oder Pendlerpauschale. Zusatzkosten drohen auch für Zahnersatz und Krankengeld. Nein, von einem schlüssigen Gesamtkonzept ist die Koalition meilenweit entfernt. Davon zeugt schon der lautstark artikulierte Unmut in den eigenen Reihen. Vieles gilt ohnehin als Verhandlungsmasse, weil der unions-dominierte Bundesrat ein entscheidendes Wort mit zu reden hat. Für CDU und CSU wäre das eine gute Chance zur Profilierung. Doch auch im Lager der C-Parteien geht es wild durcheinander. Stichwort Gemeindefinanzreform: Vom Ausbau der Gewerbesteuer bis zur ihrer kompletten Abschaffung sind alle Meinungen an prominenter Stelle vertreten. Und beim Vorziehen der Steuerreform scheinen sich Merkel & Co. auf die Quadratur des Kreises verlegt zu haben: Entlastung ja, aber die Gegenfinanzierung bleibt nebulös. So kann keine nachhaltige Reform entstehen. Die parteiübergreifenden Schwächen sind bereits an den Eckpunkten zur Gesundheitsreform ablesbar. Sie lassen auf ein zähes Weiterwursteln schließen. Die Kabinettsentscheidungen bilden nur den Auftakt für ein politisches Herbst-Theater. narichten.red@volksfreund.de

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