Aus Polen werden Rumänen

BERLIN. Die Kapitalismus-Kritik von SPD-Chef Franz Müntefering hat die Union auf dem falschen Fuß erwischt. Um sich aus dem Hintertreffen zu befreien, befeuert die Opposition jetzt die emotionsgeladene Debatte um osteuropäische Billigarbeiter neu. Nach den Polen sind die Dumpinglöhner aus Rumänien und Bulgarien ins Visier der C-Parteien geraten.

Beide Länder sollen Anfang 2007 in die Europäische Union aufgenommen werden. Die Bundesregierung habe bei der Osterweiterung der EU allerdings schlampig verhandelt und so den Zustrom von Billigarbeitern nach Deutschland ausgelöst, kritisierte die CDU-Vorsitzende Angela Merkel. Damit sich dies nicht wiederhole, müssten die jüngst unterzeichneten Verträge mit Bulgarien und Rumänien unbedingt nachverhandelt werden. Ähnlich Forderungen hatten unlängst CSU-Chef Edmund Stoiber und der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) erhoben. Die Bundesregierung hält die Äußerungen der Unionsspitze für "unqualifiziert", so Regierungssprecher Bela Anda gestern. In den Beitrittsverhandlungen mit den mittel- und osteuropäischen Staaten habe man gegen erhebliche Widerstände Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Dienstleistungsfreiheit durchgesetzt. So seien mit den neuen EU-Ländern bis zu siebenjährige Übergangsfristen bis zur vollen Marktfreiheit vereinbart worden. Auch die Berliner Vertretung der EU-Kommission weist die Kritik der Opposition als "puren Populismus" zurück. "Nachverhandeln kann man nicht. Allerdings bietet das beschlossene Vertragswerk genug Möglichkeiten, die Handbremse zu ziehen", kommentierte ein Sprecher gegenüber unserer Zeitung. Das Beitrittsverfahren beinhalte ausreichende Schutzklauseln, über die die Aufnahme beider Länder verschoben werden könne. Mit Rumänien kommt das Armenhaus Europas in die EU: Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes lag laut Kommission 2003 bei gerade mal 29,8 Prozent der übrigen 25 EU-Staaten. Insgesamt bringen Bulgarien und Rumänien offiziell 1,2 Millionen Arbeitslose mit in die Gemeinschaft ein - und jede Menge Billigarbeiter, vor denen es der Union graut: Schon die Übergangsregelungen bei der Dienstleistungsfreiheit für die letztes Jahr beigetretenen zehn neuen Mitglieder hätten sich "als unzureichend erwiesen", bemängelt der CSU-Europa-Experte Gerd Müller.

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