Ball pompös

Ich bin rund - na und? Schaut mich an: Bin ein taffer Typ, trage gern Leder, handgenäht, neuerdings schnieke Haute Couture aus Kunststoff, zu besonderen Anlässen auch in Gold. Mein Innenleben? Eine Luftblase, prall aufgepumpt.

Ich atme durch ein Ventil, von Zeit zu Zeit, wenn mir die Puste ausgeht. Pausenlos bin ich unterwegs. Die Menschen treten mich, sie werfen, passen, dribbeln, schießen, streicheln, köpfen, stoppen mich, sie schlagen mich und küssen mich. Manche rufen mich König, andere Gott. Sie beten mich an, sie lieben mich, sie träumen von mir, und ich mache sie glücklich. Ich - der Fußball! Die Kleinen laufen mir nach und erst recht die Großen. Auf dem Bolzplatz um die Ecke und in den großen Arenen. Da treffen sich Zehntausende, um mich zu bewundern. Sie jubeln, wenn ich über den Rasen flitze, sie stimmen Chöre an, und ihr Geschrei umtost mich wie ein Orkan, wenn ich im Netz der Tore zappele. Millionen und Abermillionen schalten ihre bunte Flimmerkiste an, nur um mich zu sehen. Ich bin ein Star, unschlagbar. Alles dreht sich um mich, auf allen Kanälen, wenn sich die Besten der Besten zum Völker-Ball treffen - der Weltmeisterschaft. Warum ich so fasziniere, wissen sie kaum zu erklären. Höchst unterhaltsam sei es, mein Spiel zu beobachten, mal nervenzerfetzend spannend, mal lustig, mit mir ließe sich viel, sehr viel Geld verdienen, ja sogar politische Ränke schmieden. Zirkus, Big Business, Kulturerbe der Menschheit. Erstaunlich für einen wie mich, der nichts weiter ist als rund und hohl und luftgefüllt. Manche schimpfen: Ball pompös, völlig überkandidelt, dieses Super-Mega-Giga-Gewese, das da um mich veranstaltet wird. Meine Seele sei sowieso längst verkauft worden, heißt es, verramscht im Werbewahn. Und finstere Hooligans, Neonazi-Horden oder Islam-Terroristen versuchten, mit ihren miesen Blutgrätschen meinen Lauf zu stören. Ich sei ein Sicherheitsrisiko und was nicht alles. Mumpitz! Warum hacken diese vergnatzten Übelkrähen und Miesmacher ständig auf mir herum? Merken sie es denn nicht? Ich bin ich, nichts hält meinen Siegeszug auf! Meine Urahnen erzählen, sie seien damals, vor hundert und mehr Jahren, in bitterer Armut auf der Straße aufgewachsen. Ihre Lederkluft war braun und schwer und die Not mitunter so groß, dass sie als nackte Schweinsblasen für die Fußlümmelei der ersten Balltreter herhalten mussten. Trotzdem zogen sie die Menschen in ihren Bann. Mehr und mehr und mehr. Ein Phänomen, heißt es. Keiner weiß so recht warum. Die Philosophen und Dichter behaupten, mein Spiel, das Spiel der Spiele, sei eine Metapher des Lebens. Ein ehrlicher Kampf, Spiegelbild der Gesellschaft. "Wenn ich den letzten Goethe-Vers vergessen habe, werde ich den Eimsbütteler Sturm noch aufsagen können", sagt Walter Jens, ein Mann des Geistes. Seine unsterblichen Kindheits-Helden der 30er-Jahre? Derle Ahlers, Otto Rohwedder, Herbert Panse, Kalli Mohr und Hanno Maack. Nie gehört? Macht nichts. Jeder pflegt seine eigenen Lieblinge, rühmt und preist ihre Taten. Meine Verehrer schwärmen von den großartigen Momenten, die ich ihnen beschere. Mal Welttheater, mal Schmierenkomödie. Mal große Oper, mal seichter Schlager. Mal antike Tragödie, mal trivialer Schund. Was ist Werthers Tod, was ist Fausts Streben nach Erkenntnis gegen ein Sieg bringendes Tor in letzter Minute? Die ganze Welt ist Bühne, und alle Frauen und Männer bloße Spieler, sagt Shakespeare. Wie schön, seufz! Ja, ich bin rund. Rund wie der Erdball, um den ich fliege - als Botschafter der Völkerverständigung. Wo immer ich auftauche, sprechen die Menschen meine Sprache. Nimm einen Kicker aus Trinidad und Tobago, einen aus Angola. Gib ihnen einen Ball, und sie verstehen sich: Sie versuchen, das Runde in das Eckige zu tun, sonst nichts. Das ist meine Mission. Willkommen auf dem Planeten Fußball! p.reinhart@volksfreund.de

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