Barrierefrei kommt nur in Trippelschritten voran

Berlin · Es ist selten, dass ein Regierungsmitglied einen Gesetzentwurf der Regierung im Parlament kritisiert. Verena Bentele (SPD) hat das gestern getan. Die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung bezeichnete die geplante Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes als unzureichend und zum Teil lebensfremd. Sie stand mit der Kritik nicht allein.

Berlin. Das Behindertengleichstellungsgesetz gibt es seit 2002. Es wird jetzt reformiert, um Lücken zu schließen, die sich in der Praxis ergeben haben. Es geht um Barrierefreiheit - in den Gebäuden, aber auch in der Kommunikation. So werden Verwaltungen angehalten, ihre Internetangebote für Behinderte nutzbarer zu machen und Gesetze, Verordnungen und Bescheide in "leichter Sprache" bereitzustellen. Neu ist auch die Schaffung einer bundesweiten Schlichtungsstelle, die Beschwerden regeln soll.
Das Gesetz ist jedoch nur für die Bundes- und Landesverwaltungen verbindlich; für die Privatwirtschaft gelten weiterhin freiwillige Vereinbarungen mit den Behindertenverbänden. Hinzu kommt jetzt allerdings die Schaffung einer zentralen Beratungsstelle, wo sich Private informieren können. Bei dieser Einschränkung des Geltungsbereichs setzt die Kritik Benteles an. Die von Geburt an blinde 34-jährige Politikerin, die als Behindertensportlerin im Biathlon zahlreiche Paralympics-Goldmedaillen gewann, sagte, das Gesetz bleibe deutlich hinter ihren Zielen zurück. Es sei "lebensfremd", zwischen privaten und bundeseigenen Gebäuden zu unterscheiden. Alles, was öffentlich zugänglich sei, "von der Kneipe bis zum Bundestag", müsse barrierefrei sein. Und zwar nicht nur die Zugänge, sondern auch die Toiletten und die Fahrstühle. Die USA, aber auch Österreich, seien da weiter.
Und selbst bei den öffentlichen Gebäuden sei das Gesetz zu unverbindlich. Hier enthält die Reform nur die Pflicht, bis 2021 über bestehende Barrieren zu berichten. "Davon werden sie nicht beseitigt", klagte die Behindertenbeauftragte. Die anderen geplanten Regelungen begrüßte sie.
Ihre grundsätzliche Kritik wurde auch von der Opposition geteilt. Linke-Politikerin Katrin Werner sagte, es fehle der Regierung "Mut und Wille", auch die Privatwirtschaft zur Barrierefreiheit zu verpflichten. Für die Grünen sagte Corinna Rüffer an die Regierung: "Ihre Reden von Teilhabe sind Sonntagsreden." Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) stellte die Details des Gesetzes vor und hielt erstmals eine Rede in einfacher Sprache. Ihren ungewöhnlichen Vortrag schloss sie mit den Worten: "So, das war meine erste Rede in einfacher Sprache. Ich fand das sehr schwierig." wk

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