Behinderte finden nur wenig Gutes am Entwurf für das Bundesteilhabegesetz - Trierer Abgeordnete machen sich für Nachbesserungen stark

Berlin/Trier · Mit dem Bundesteilhabegesetz soll die Selbstbestimmung behinderter Menschen wesentlich gestärkt werden. Doch die Betroffenen sind über den Gesetzentwurf entsetzt.

Wie dramatisch die Situation schwerbehinderter Menschen ist, zeigt das Beispiel von Nancy Poser. Die 36-jährige Richterin aus Trier leidet an einer fortschreitenden Muskelschwäche. Sie sitzt im Rollstuhl und ist mittlerweile auf eine ständige Begleitung (Assistenz) angewiesen, die weit über Pflegeleistungen hinausreicht und im Bereich Eingliederungshilfe des Sozialgesetzbuches verankert ist. Wegen der herrschenden Gesetzeslage fühlt sie sich massiv benachteiligt. "Egal wie sehr ich mich anstrenge, ich werde nicht die Chancen haben, die ein anderer Mensch hat", sagt sie im Gespräch mit dem Trierischen Volksfreund.

2600 Euro Rücklagen erlaubt

Um für die lebensnotwendige Vollzeitbetreuung nicht selbst aufkommen zu müssen, dürfte sie nur etwas mehr als 1000 Euro verdienen. Von dem Betrag, den ihr Gehalt darüber liegt, werden 40 Prozent vom Sozialamt einbehalten. Hinzu kommt, dass sie nur 2600 Euro als Rücklage sparen darf. "Man muss also arm sein, bevor man auf die Hilfe der Gemeinschaft zurückgreifen kann", ärgert sich Poser. Als Mitglied des Forums behinderter Juristen gehört sie zu den vehementen Kritikern des Entwurfs für das neue Bundesteilhabegesetz. Das sollte die Situation der Behinderten eigentlich grundsätzlich verbessern. "Nun geht es darum, Verschlechterungen zu verhindern."

Das Problem: Mehr als zehn Millionen Menschen in Deutschland haben eine Behinderung, 7,5 Millionen sind schwerbehindert. 291 186 der Schwerbehinderten leben nach einer aktuellen Erhebung des Statistischen Landesamtes (siehe Grafik) in Rheinland-Pfalz.

Es gibt riesige Hürden, die ein selbstbestimmtes Leben erschweren. Viele haben keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt jenseits spezieller Werkstätten, andere kommen ins Pflegeheim. Nur rund 28 Prozent der behinderten Schüler besuchen eine Regel- statt eine Förderschule.

Das Ziel: Nach jahrelangen Vorarbeiten unter Mitwirkung der Behindertenverbände soll das Bundesteilhabegesetz einen grundlegenden Wechsel bringen - so soll die Eingliederungshilfe für Behinderte schrittweise aus der Sozialhilfe geholt werden. Wahlrecht soll Bevormundung durch Staat und Hilfsstrukturen ersetzen. Doch der Gesetzwurf enttäuscht die Betroffenen.

Der Weg: Angesetzt werden soll an mehreren Stellen. Statt nur 2600 Euro, die man besitzen darf, wenn man Eingliederungshilfe bezieht, sollen es künftig bis zu 50 000 Euro sein. Für Partnereinkommen sollen ebenfalls höhere Freibeträge gelten. Ein "Budget für Arbeit" für Arbeitgeber soll bei der Integration auf dem Arbeitsmarkt helfen: Wer Betroffene einstellt, soll einen unbefristeten Lohnkostenzuschuss erhalten.

Die Kritik: Sozialverbände halten das Gesetz für unzureichend, teils drohten sogar Verschlechterungen (siehe unten). Landesbehindertenbeauftragter Matthias Rösch begrüßt zwar die geplanten Regelungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. "Für mich ist der Referentenentwurf aber noch zu sehr im System Fürsorge und der Sozialhilfe hängengeblieben. Das merkt man an den unzureichenden Verbesserungen von Einkommen und Vermögen auch in einer Partnerschaft." Das kritisieren die Betroffenen

Unter dem Hashtag #NichtMeinGesetz hat die Selbstvertretung behinderter Menschen in Deutschland gravierende Mängel des Gesetzenwurfs beschrieben: Sparen kaum erlaubt: Um die lebensnotwendigen Hilfen (Eingliederungshilfe) zu erhalten, dürfen behinderte Menschen kaum Geld sparen. Vermögen dürfen sie nicht in einem Wert von mehr als zunächst 25 000 Euro und später 50 000 Euro besitzen. Bei Hilfe zur Pflege und auch bei der Blindenhilfe bleibt es bei einer Vermögensgrenze von 2600 Euro.
Mogelpackung: Sind behinderte Menschen auf persönliche Assistenz, also eine intensive Betreuung angewiesen, erhalten sie meist Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege. Doch nur die Eingliederungshilfe soll aus dem Sozialhilferecht gelöst werden. Das bedeutet, dass Verbesserungen bei der Eingliederungshilfe diesen Betroffenen nichts bringt.
Vorrang entfällt: Bisher galt der Grundsatz ambulant vor stationär. Dieser Vorrang entfällt. Wohnen in den eigenen vier Wänden wird künftig oft nur dann "erlaubt", wenn es günstiger ist oder ein Leben im Heim unzumutbar ist.
Poolen: Nach dem Entwurf können viele Hilfen zwangsweise für mehrere Betroffene gleichzeitig erfolgen - das "Poolen von Leistungen". Individuelle Aktivitäten sind dann unmöglich.
Nicht behindert genug: Um Hilfen zu erhalten, muss man laut dem Entwurf in 5 von 9 Lebensbereichen eingeschränkt sein. Wer zum Beipiel aufgrund einer Sehbehinderung Hilfe zur Mobilität und beim Lernen benötigt, ist nicht behindert genug, um Eingliederungshilfe beanspruchen zu können. redDas sagen die Abgeordneten aus der Region

Bei den Bundespolitikern aus Trier ist die Meinung über den Gesetzentwurf geteilt. Während Katarina Barley (SPD) und Bernhard Kaster (CDU) an einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu mehr Teilhabe glauben, kritisieren Corinna Rüffer (Bündnis 90/Die Grünen) und Kathrin Werner den Gesetzentwurf harsch. Beide Politikerinnen sind behindertenpolitische Sprecherinnen ihrer Fraktion.

Corinna Rüffer (Die Grünen): "Von gleichberechtigter und selbstbestimmter Teilhabe können Menschen mit Behinderungen weiter nur träumen. Nicht nur, dass die Einkommens- und Vermögensanrechnung von Menschen mit Behinderungen bestehen bleibt. Auch das Vermögen des Partners oder der Partnerin wird weiterhin angerechnet. Besonders perfide ist, dass diejenigen, die sowohl Leistungen der Eingliederungshilfe als auch Hilfe zur Pflege erhalten, sogar finanzielle Verschlechterung zu erwarten haben."

Kathrin Werner (Die Linken): "Der vorliegende Gesetzentwurf bringt keine wirksame Verbesserung der gesellschaftlichen Teilhabe. Es handelt sich um ein Spargesetz. Das erklärte Ziel ist die Senkung der Ausgabendynamik. Teilhabeleistungen sind noch immer abhängig vom Geldbeutel der Betroffenen, und das führt zwangsläufig zu Altersarmut der Betroffenen. Das Wunsch- und Wahlrecht von Menschen mit Behinderung wird unter Kostenvorbehalte gestellt und der Kreis der leistungsberechtigten Personen ist stark eingegrenzt."

Katarina Barley (SPD): "Das Gesetz ist der grundsätzliche Schritt von der Fürsorge zur Teilhabe. Für viele Menschen mit Behinderung bringt es deutliche Verbesserungen, zum Beispiel weil sie erheblich mehr Vermögen bilden können. Wir haben durchgesetzt, dass der Bund die Mehrkosten übernimmt. Schwieriger ist es bei der Forderung, auch die Hilfe zur Pflege zu reformieren. Es muss aber sichergestellt werden, dass alle, die derzeit beide Leistungen beziehen, von der Neuregelung in der Eingliederungshilfe profitieren."

Bernhard Kaster (CDU): "Mit dem Entwurf wird für Menschen mit schwerster Behinderung ein Wendepunkt von bisheriger Fürsorgeleistung hin zu mehr Teilhabe eingeleitet. Die gravierenden Änderungen bei der geplanten Schonung von Einkommen der Betroffenen und auch der Partner zeigen, wie sorgsam die Grenzziehungen zum SGB II oder der Hilfe zur Pflege austariert werden müssen. Ich bin mir sicher, dass dieser Gesetzentwurf in der parlamentarischen Beratung noch wichtige Änderungen erfährt." Kommentar

Gordischer Knoten: Warum der Weg zu einem guten Teilhabegesetz noch weit ist

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