Bei den Löhnen ist Geiz nicht geil

Lohnzurückhaltung und bessere Konkurrenzfähigkeit waren jahrelang Forderungen der deutschen Wirtschaft, um im Wettbewerb bestehen zu können. Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung behauptet, diese Strategie schade dem Wirtschaftswachstum.

Berlin. Von jeher gehört das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) zu jenen Einrichtungen, die immer wieder Argumente dafür finden, warum ein wirtschaftsfreundlicher Kurs nichts bringt.

In diesem Jahr überrascht es mit der Feststellung: Niedrige Löhne nutzen kaum jemandem. Den Arbeitnehmern sowieso nicht, aber auch die Mehrzahl der Unternehmen hat wenig davon.

Seit die Regierung Schröder 1998 das Ruder übernahm, sind die Arbeitskosten in Deutschland wesentlich langsamer gestiegen als in den meisten anderen Ländern des Euro-Raums, auch langsamer als bei vergleichbaren Konkurrenten auf den internationalen Märkten wie Frankreich, Großbritannien oder den Niederlanden.

Lohnzurückhaltung und bessere Konkurrenzfähigkeit waren jahrelang das Gebot der Stunde. Das Hochlohnland Deutschland, das einst auf Platz vier in Europa lag, ist jetzt auf Platz acht abgerutscht. 2008 lag Deutschland mit durchschnittlichen Kosten von 28,50 Euro je Arbeitsstunde zum vierten Mal in Folge im Eurozonen-Vergleich in dieser Tabellenregion und war damit deutlich billiger als Dänemark (36 Euro), Belgien (32,70 Euro) oder auch Frankreich (32,10 Euro).

In Österreich ist die Arbeitsstunde nur noch zehn Cent pro Stunde günstiger als in Deutschland. In Großbritannien vier Euro, was allerdings am Pfund-Kurs liegt. Ungarn mit 7,70 Euro und Polen mit 8,10 Euro bilden das Schlusslicht.Bei den Arbeitskosten werden die gezahlten Löhne sowie die Lohnnebenkosten des Arbeitgebers erfasst.

Die Forscher wandten sich bei der Vorstellung der Daten gestern in Berlin gegen das Argument, dass die Billiglohn-Strategie Arbeitsplätze sichere und Deutschland zum Exportweltmeister gemacht habe. Denn, so IMK-Chef-Ökonom Gustav Horn, im verarbeitenden Gewerbe, das hauptsächlich für den Export produziert, sind die Arbeitskosten mit 32,50 Euro pro Stunde deutlich höher als im Durchschnitt und liegen europaweit auf Platz fünf. Daran also könnten die Exporterfolge allein nicht liegen.

Deutschland habe ein "nicht ausbalanciertes Arbeitskostenniveau", weil im Dienstleistungssektor mit 26 Euro pro Stunde vergleichsweise wenig aufgewandt wird. In diesem Bereich liegt Deutschland nur auf Platz neun in Europa. Ursachen sind die Schwäche der Gewerkschaften in den Dienstleistungsbetrieben, der Lohndruck in den neuen Ländern, der vergleichsweise hohe Anteil an Frauen und an Teilzeitarbeitsplätzen sowie die Billigkonkurrenz aus den osteuropäischen Nachbarstaaten.

These: Niedrige Löhne - geringes Konsumniveau



Die niedrigeren deutschen Durchschnittslöhne führten im Ergebnis zu einem geringeren Konsumniveau, kritisierte Horn. Der in einem so großen Industrieland bedeutende Binnenmarkt könne sich auf diese Weise nicht entwickeln, und die Wachstumsraten blieben deshalb unterhalb der Möglichkeiten. Das alles könnten auch noch so stolze Exporterfolge nicht ausgleichen.

Unter dem Strich, so Horn, koste die "Billiglohn-Strategie" jährlich 600 000 Arbeitsplätze. "Wir müssen eine Debatte um unsere Wachstumsstrategie führen", forderte Horn vom morgigen Krisengipfel im Kanzleramt.

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