"Berlin sollte sich stärker bei Konflikten engagieren"

New York. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat in einem Interview mit dem TV an die Bundesregierung in Berlin appelliert, sich künftig stärker politisch und auch militärisch bei internationalen Krisen zu engagieren. Heute wird der Annan-Nachfolger in Berlin beim Treffen des "Nahost-Quartetts" auch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammentreffen.

 UN-Generalsekretär Ban Ki Moon (links) im Gespräch mit unserem Korrespondenten Friedemann Diederichs. Foto: Eskinder Debebe

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon (links) im Gespräch mit unserem Korrespondenten Friedemann Diederichs. Foto: Eskinder Debebe

Herr Generalsekretär, welche Erwartungen haben Sie für das Treffen des Nahost-Quartetts?Ban Ki Moon: Wir werden die Lage analysieren und natürlich auch über das jüngste Treffen von US-Außenministerin Rice mit Israels Premierminister Olmert und Palästinenserpräsident Abbas reden. Initiativen wie diese sind ungeheuer wichtig, um weiterzukommen. Wird es Fortschritte geben, ohne dass zuvor die neue palästinensische Einheitsregierung Israels Existenzrecht formell anerkennt?Ban Ki Moon: Eine formelle Erklärung würde natürlich enorm helfen. Dieses Element der "roadmap" muss erfüllt werden. Darüber hinaus müssen Israel und die Palästinenser weiter dauerhaft im Gespräch bleiben. Die neue palästinensische Regierung sollte aber auch alle zuvor getroffenen internationalen Vereinbarungen akzeptieren und vor allem der Anwendung von Gewalt eine Absage erteilen. Kann Deutschland in diesem Konflikt weiterhelfen?Ban Ki Moon: Deutschland ist auch durch seine derzeitige Rolle als EU- und G-8-Repräsentant ein ganz wichtiges Land. Es hat sich bisher auch in diesem Konflikt engagiert und kann eine wichtige Rolle auf dem Weg zu einer Friedenslösung spielen. Ich freue mich deshalb auf meine Gespräche mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Steinmeier. Wie ist ihr persönlicher Eindruck von Angela Merkel?Ban Ki Moon: Ich bin sehr beeindruckt von ihrem Charme, ihrer bedächtigen Art, Gespräche zu führen, und ihrer Entschlossenheit, was politische Prinzipien angeht. Ganz besonders nenne ich hier die EU-Erweiterung und ihr Engagement im Nahost-Friedensprozess, aber auch bei Herausforderungen in Afrika. Eine Reform der Uno steht auf Ihrer Agenda ganz oben. Und Deutschland möchte im Rahmen der Reform auch ein ständiges Mitglied des Sicherheitsrates werden. Wie sehen Sie die deutschen Chancen?Ban Ki Moon: Natürlich sind mir die Ambitionen der Deutschen sehr gut bekannt. Leider haben sich die Mitglieds-Nationen bisher nicht auf eine Formel zur Fortführung einer Reform einigen können. Angesichts der dramatischen Veränderungen in der internationalen Politik in den vergangenen 60 Jahren ist es aber notwendig, dass der Sicherheitsrat erweitert wird. Die extrem sensible Frage, wer am Ende dort repräsentiert wird, liegt aber weiter in den Händen der UN-Mitgliedsstaaten. Sollte Deutschland bei internationalen Konflikten und Krisen, wie etwa in Afghanistan, eine größere Rolle spielen? Ban Ki Moon: Ich hätte es gerne, wenn Deutschland eine immer größere Rolle im internationalen Szenario erfüllt. Deutschland ist ja auch einer der wichtigsten UN-Beitragszahler und ein bedeutendes Mitglied der Nato und EU. Deshalb wäre ein stärkeres deutsches Engagement bei Konflikten aus meiner Sicht wünschenswert. Auf die politische Ebene begrenzt oder auch im Kampfeinsatz?Ban Ki Moon: Wenn die internationale Gemeinschaft ein wichtiges, gemeinsam definiertes Ziel militärisch verfolgt - wie den Kampf gegen den Terrorismus oder mit einem friedenssichernden Einsatz - sollte Deutschland sich einem größeren Beitrag nicht verschließen. Was muss im Irak geschehen, damit die Vereinten Nationen dort wieder stärker mit humanitärer Hilfe präsent sein können?Ban Ki Moon: Wir sind natürlich durch die Sicherheitslage sehr eingeschränkt worden. Aber wir haben ja durchaus auch geholfen, etwa beim Demokratisierungsprozess und den ersten wirklichen Wahlen. Oder beim Aufsetzen der Verfassung. Wir werden uns so weit engagieren, wie es die Situation zulässt. Die irakische Regierung und die Bevölkerung sollten sich heute aber mehr als zuvor der Frage widmen, wie eine Politik erreicht werden kann, die niemanden ausschließt. Gespräche mit den Nachbarstaaten schließe ich dabei als Notwendigkeit ausdrücklich ein. Es gibt neue Schätzungen, dass allein in diesem Jahr eine Million Iraker aus ihrem Heimatland fliehen werden. Was können die Vereinten Nationen tun, um eine gewaltige Flüchtlingskrise zu vermeiden?Ban Ki Moon: Diese Meldungen sind extrem beunruhigend. Wir werden alles tun, um zu helfen. In erster Linie sollte aber jetzt die Weltgemeinschaft der irakischen Regierung helfen, um die Situation im Land zu stabilisieren. Was halten Sie denn von den Plänen von US-Präsident Bush, mit 21 500 zusätzlichen Soldaten die Lage im Irak wieder in den Griff zu bekommen? Ban Ki Moon: Diese Strategie sollte auf jeden Fall von politischen Konsulationen begleitet werden, man darf die Diplomatie hier nicht ausschließen. Es muss, wenn man überhaupt eine Chance zur Verbesserung der Lage haben will, einen umfassenden Lösungsansatz geben, der sich nicht nur auf die militärische Ebene beschränkt. Die Sechs-Länder-Gespräche haben im Bemühen um eine Lösung des Atomkonflikts mit Nordkorea eine Einigung gebracht, die vor allem von Konservativen in den USA als "schlechter Deal" bezeichnet worden ist, bei dem das Regime in Pjöngjang zu gut wegkomme...Ban Ki Moon: Ich begrüße diese Vereinbarung ausdrücklich. Es ist eine sehr ermutigende Entwicklung. Ich kann der Ansicht keinesfalls zustimmen, dass es ein schlechtes Geschäft ist. Wir haben hier einen klaren Schritt nach vorne gemacht, weil jetzt von Nordkorea nicht mehr nur Worte, sondern wirkliche Taten verlangt werden. Sie haben sich jetzt zur vollständigen Eliminierung aller atomaren Waffen und Programme verpflichtet und auch dazu, die IAEA-Inspektoren zur Kontrolle zuzulassen. Das ist doch ein gutes Zeichen. Kann man denn der nordkoreanischen Führung trauen, was diese Versprechen angeht?Ban Ki Moon: Dazu gibt es natürlich unterschiedliche Ansichten, und meine Position erlaubt mir dazu kein Urteil. Es geht um Vertrauen. Und das Ausmaß von Mißtrauen wird natürlich eng damit zusammenhängen, wie Nordkorea diese Vereinbarungen umsetzt. Nordkorea sollte diese einzigartige Chance nutzen, um ein verantwortliches Mitglied der Weltgemeinschaft zu werden. Zum Thema Iran: Haben Sie den Eindruck, dass die zuletzt verhängten begrenzten Sanktionen gegen Teheran im Atomstreit Wirkung zeigen?Ban Ki Moon: Jeder Mitgliedsstaat der UN ist verpflichtet, den Resolutionen Folge zu leisten. Vieles wird davon abhängen, wie die iranische Führung reagiert, und wie konsequent die internationale Gemeinschaft mit der Umsetzung von Sanktionen vorgeht. Derzeit überlegen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates bereits, welche weiteren Maßnahmen zu treffen sind. Ich fordere deshalb die iranische Führung ausdrücklich auf, sich einem kontinuierlichen Dialog zu stellen. Im Sudan werden weiterhin die Menschenrechte mit Füßen getreten. Wie lange will man noch zusehen? Ban Ki Moon: Es ist nicht akzeptabel, dass die Weltgemeinschaft das Töten und die Menschenrechtsverletzungen in Dafur weiter so hinnimmt. Der Sudan weiß durch meinen Gesandten genau, was wir wollen. Man hat uns eine schnelle Antwort versprochen. Dann können wir sofort über die Entsendung einer Truppe reden. Ich werde alle meine Kraft daransetzen, eine Lösung zu finden und die humanitäre Lage vor Ort zu verbessern. d Das Interview mit dem UN-Generalsekretär führte unser Korrespondent Friedemann Diederichs. Das komplette Interview im Wortlaut finden Sie im Internet:

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