Berliner Ambitionen

Ein Jahr regiert Kurt Beck ohne Koalitionspartner in Mainz - und keiner hat einen politischen Schwenk bemerkt. Das von ihm propagierte "SPD pur" in rheinland-pfälzischer Variante hätte mit einem Koalitionspartner FDP nur wenig anders ausgesehen.

Ein Jahr regiert Kurt Beck ohne Koalitionspartner in Mainz - und keiner hat einen politischen Schwenk bemerkt. Das von ihm propagierte "SPD pur" in rheinland-pfälzischer Variante hätte mit einem Koalitionspartner FDP nur wenig anders ausgesehen. Nicht Bruch, sondern Aufbruch sollte zum Markenzeichen der Alleinregierung werden. Den Aufbruch schaffte Beck allerdings nur bei der Kinderbetreuung, wo das Land mit dem komplett kostenlosen Kindergarten ab 2010 eine Vorreiterrolle übernimmt.Ansonsten brach der Ministerpräsident vor allem als SPD-Bundesvorsitzender zu neuen Ufern auf. Und inzwischen ist eines klar: Dieser Posten fordert ihn innerparteilich und in der politischen Dauerfehde der Großen Koalition weit mehr als gedacht. Doch der selbstbewusste Pfälzer hat nach seinem jahrelangen demonstrativen Desinteresse an Berlin auch auffallend schnell Gefallen an der neuen Macht auf der bundespolitischen Bühne gefunden. Er reklamiert so rigoros die Chefrolle, dass kaum jemand daran zweifelt, wer der nächste Kanzlerkandidat der SPD sein wird, auch wenn er sich noch nicht erklärt hat. Nicht zuletzt mit Blick auf die Berliner Ambitionen lautet Becks Parole im Land: Keine Experimente, die für Unruhe sorgen könnten. So bleibt - von den vorübergehenden personalpolitischen Turbulenzen abgesehen - alles in gewohnten Bahnen, die angekündigte Verwaltungsreform wird erst einmal auf die lange Bank geschoben und eine fällige Debatte um das gegliederte Schulwesen peinlichst vermieden.

In dieser Situation zahlt sich für Beck aus, dass er mit Doris Ahnen und Hendrik Hering rechtzeitig zwei junge mögliche Nachfolger in Partei und Regierung hat aufrücken lassen, ohne eine Nachfolge-Debatte vom Zaun zu brechen. Doch ob es 2009 überhaupt zu einem Wechsel kommt, dürfte nicht nur davon abhängen, ob der Merkel-Herausforderer Kurt Beck heißt, sondern auch davon, ob er mit seiner Partei erneut den Sprung in die Bundesregierung schafft.

Scheitert der SPD-Chef, könnte er auch bleiben, was er ist: erster Mann in Rheinland-Pfalz. Selbst wenn dann der Nimbus der Unbesiegbarkeit dahin wäre. Wie immer die Konstellationen im Land auch sein werden, die arg gebeutelte oppositionelle CDU muss erst noch jede Menge Aufbauarbeit in den eigenen Reihen leisten, um in absehbarer Zeit aus einer geänderten Gefechtslage politisch Kapital schlagen zu können.

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