Besuch von einem anderen Planeten

Trier/Weimar · 25 Jahre Mauerfall - für viele Weimarer und Trierer einen doppelter Anlass, Jubiläum zu feiern: Am letzten November- und am ersten Dezember-Wochenende 1989 brachte die Bus-Aktion "Herzlich willkommen, Weimar!" rund 1400 Menschen aus der thüringischen Partnerstadt nach Trier.

Trier/Weimar. 430 Kilometer, knapp vier Autostunden, trennen Trier und Weimar. Ein Klacks. Heutzutage. Aber bis vor 25 Jahren schien es so, als lägen beide Städte nicht auf demselben Planeten: Der Eiserne Vorhang teilt seit 1961 Deutschland in Bundesrepublik und Deutsche Demokratische Republik. Der jähe Fall der Mauer am 9. November bringt eine bizarre neue Situation. Europas bestgesicherte Grenze ist plötzlich durchlässig, passierbar ohne Visum und strenge Kontrollen. Das lässt in beiden Städten Ideen sprießen und Träume blühen.
Seit 1987 pflegen Trier und Weimar eine der wenigen deutsch-deutschen Städtepartnerschaften. Das Miteinander beschränkt sich zunächst auf Besuche von Funktionären und handverlesenen Künstlern.
Als die Mauer unter dem Druck der friedlichen Revolution in der DDR nachgibt, besteht die Beziehung ihre erste Bewährungsprobe im Sinne einer echten Partnerschaft mit Bravour. Bereits am Abend des 14. November ist die Trierer Kirche St. Gangolf - parallel zur Weimarer Dienstagsdemo - Schauplatz eines von Stadtvorstand und Stadtrat organisierten ökumenischen Solidaritäts-Gottesdienstes mit Weimarer Beteiligung.
An jenem Abend spricht Oberbürgermeister Helmut Schröer eine Einladung an Weimarer Bürger aus, ihrer Partnerstadt einen Wochenendbesuch abzustatten. Schröer weiß: "Das wird für uns ein logistischer und organisatorischer Kraftakt." Was er nicht weiß, ja nicht einmal ahnt: Statt der erwarteten "etwa 300 Menschen" stehen 6000 Interessierte Schlange an der Anlaufstelle, dem Antiquariat Andreas Kossmann am Weimarer Markt.
Im Trierer Rathaus gibt Christfried Würfel, Chef des Sozialamtes und von Schröer zum Cheforganisator der Aktion "Herzlich willkommen, Weimar!" ernannt, das Motto "Augen zu und durch" aus. Sprich, "keinen Gedanken daran verschwenden, dass das Ganze eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit ist, sondern Unmögliches möglich machen".
Immerhin 1400 Weimarer können zu Wochenendbesuchen nach Trier reisen. Die ersten 600 am 24. November. Mit Weimarer Bussen fahren sie zunächst zum Grenzübergang Herleshausen. Ab dort geht es weiter mit zwölf Reisebussen, die Trierer Unternehmen stellen. Im Internet- und Mobilfunk-Zeitalter kaum zu glauben: Während der Fahrt füllen die Gäste Karten mit Angaben zu Alter, Beruf und Hobbys aus. Bei einem Zwischenstopp eingesammelt, werden sie per OB-Dienstwagen nach Trier vorausgeschickt. Bis zum Eintreffen des Bus-Trecks werten Rathausmitarbeiter die Karten aus und ordnen die Besucher den Trierer Gastgebern zu, die sich nach Aufrufen im Trierischen Volksfreund und via Radio RPR gemeldet haben. Handwerker zu Handwerkern, Krankenschwestern zu Krankenschwestern, Renter zu Rentnern.
Was dann geschieht, wird Schröer "nie wieder vergessen. Einer der emotionalsten Momente meiner 18-jährigen OB-Amtszeit! Wir hatten gerade Stadtratssitzung, und plötzlich hieß es: Sie kommen! Wir stürmten raus auf den Augustinerhof - und erlebten, was echte Städtepartnerschaft ist." Hunderte Trierer treffen auf Hunderte ihnen unbekannte Weimarer. Alle Gäste finden private Aufnahme. Das Organisationsteam des Rathauses muss nicht auf Zimmer zurückgreifen, die Hotels zur Verfügung gestellt hätten.
Es entstehen Freundschaften, die heute noch bestehen. Ebenso freundschaftlich geht es eine Woche später (1. bis 3. Dezember 1989) zu, als mehr als 800 Weimarer mit der zweiten Bus-Tour an die Mosel kommen. Schröer, seit 2007 Ehrenbürger von Weimar, erinnert sich an "Begegnungen voller Herzlichkeit, Aufgeschlossenheit und Offenheit." Über diese großen und andere Momente berichtet der 72-Jährige in dem gemeinsam mit Dieter Lintz verfassten und 2012 im Paulinus-Verlag erschienenen Buch "Trier - Weimar: Eine deutsche Städtepartnerschaft".Extra

 Helmut Schröer, seit 2007 Ehrenbürger von Weimar. TV-Foto: Roland Morgen

Helmut Schröer, seit 2007 Ehrenbürger von Weimar. TV-Foto: Roland Morgen

25 Jahre nach der Aktion "Herzlich willkommen, Weimar" wird an diesem Wochenende Jubiläum gefeiert. Etwa 60 Bürger der thüringischen Partnerstadt besuchen Trier. Organisiert wurde die Reise von den Partnerschaftsvereinen Weimar-Gesellschaft Trier und Trier-Gesellschaft Weimar. Auf dem offiziellen Programm steht heute, Freitag, zunächst um 14.30 Uhr die Pflanzung von drei Bäumen (Buche, Kiefer, Eiche) im Nells Park gegenüber der Orangerie. Um 14.30 Uhr empfängt OB Klaus Jensen Gäste und Gastgeber im großen Rathaussaal. rm.

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