Beten auf einem halben Quadratmeter

KÖLN. Nachts viel zu kalt, überhaupt viel zu eng, aber Gott sei Dank kein Regen – und ein umjubelter Papst Benedikt XVI.: So lief das Wochenende auf dem Marienfeld, das den Weltjugendtag in Köln beschloss.

Was ist denn schon der Rosenmontagszug im Vergleich zu diesem Zug, der sich hier durch die Straßen schiebt? Schwer bepackt, bunt, singend. Samstag und Sonntag zusammengerechnet mehr als 800 000 Menschen, sagen die Verantwortlichen, irgendwann nehmen sie sogar die Zahl eine Million in den Mund. Das treibt auch die Bürger rund ums Marienfeld auf die Straßen. In Frechen und Bachem haben die Bewohner mit einer Mischung aus Fronleichnamsprozession und besagtem Rosenmontagszug geschmückt. Sie stehen an der Straße, winken und intonieren Kölsche Fastnachtslieder. An jeder Ecke irgendein Souvenir-, Essens- oder Getränkestand. Manch einer wittert ein Zusatzgeschäft.Drei Kilometer weiter, als die Pilger rund zwei Drittel des Fußwegs von der S-Bahn-Station bis zum Marienfeld bewältigt haben, hat sich die Stimmung im Strom etwas gewandelt. Schwer bepackt sind sie freilich immer noch, bunt ist das Feld auch noch - aber die Gesangsfreude lässt merklich nach. So lange Wanderungen mit Isomatte und Schlafsack, mit Regenschutz und vielem weiteren Gepäck durch eine solche Menschenmasse, dazu die vergangenen Tage (und Nächte) in den Knochen; bei solchen Bedingungen werden die Pilger zwangsläufig etwas ruhiger.

Deswegen ist es auch kein Wunder, dass sich auf dem Marienfeld viele Pilger in irgendeinem Zustand zwischen schlafen, dösen und gammeln befinden. Dicht an dicht gereiht quetschen sich die Dauerpilger in die ihnen vorher zugewiesenen Areale, eine abgrundtief niedrig erscheinende Zahl von 0,7 geplanten Quadratmetern pro Person macht die Runde. Natürlich wird auch auf dem Marienfeld viel gefeiert, getanzt und gesungen, herrscht hier eine schöne, friedliche und gute Stimmung - aber nicht eine solch gänzlich ausgelassene, wie sie die Pilger in den vergangenen Tagen miterlebt haben. So vergeht der Samstag eher langsam, gemütlich wartend, im Hinterkopf die Gewissheit, dass es am anderen Tag nach dem Aufstehen schon recht bald mit dem nächsten Höhepunkt weitergehen wird. Den ganzen Tag, die ganze Nacht, den ganzen Sonntagmorgen über tauchen neue Pilgermassen auf. Manche kommen sogar erst dann, als Kardinal Meisner den Abschlussgottesdienst bereits eröffnet hat. Um nun aus der guten Stimmung eine sehr gute zu machen, um vereinzeltes Singen, Klatschen und Tanzen zu einem einzigen Jubelmeer zu verwandeln, bedarf es allein dieses Papstes Benedikt XVI., in allen Namens- und Ländervarianten, von "Holy Father" bis "Benedetto".

Ob bei der in ein wunderbares Kerzenmeer eingetauchten Vigil am Samstagabend oder während des Gottesdienstes am Sonntagmorgen: Die Stimmung steigt, wenn der Papst auf der Leinwand erscheint, wenn er das Wort ergreift, wenn er mit "Liebe Jugendlichen, liebe junge Freude" die Pilger begrüßt. Aber er muss noch nicht mal persönlich da sein; für eine Steigerung der Stimmung braucht nur einer der Moderatoren oder einer Kardinäle seinen Namen (am besten in Kombination mit dem von Papst Johannes Paul II.) in den Mund zu nehmen.

"Es ist doch verrückt. Da glotzen wir jungen Mädchen einem alten Mann hinterher", witzelt die 17-jährige Angelika Wald aus dem Bistum Trier - bleibt aber natürlich dort stehen. Es scheint vielen auf dem weiten Feld vor allem wichtig zu sein, dass er spricht - dass er zu ihnen spricht. Was er da vorne am Altar, der von vielen Plätzen aus bestenfalls zu erahnen istund von manchen aus noch nicht einmal das, scheint hingegen nicht so entscheidend zu sein. Während den Predigten ist die nächste SMS schon einmal entscheidender als der nächste Satz.

Zwei Stunden am Samstagabend mit dem Papst, zwei Stunden am Sonntagmorgen, das Ganze in einer Menge von fast einer Million Menschen, als Krönung einer Woche voller Spaß, voller Kontakte, voller Glauben und voller neuer Erfahrungen. Die Jugendlichen nehmen einiges mit von diesem Weltjugendtag - zuallererst noch einmal Isomatte, Schlafsack und sonstiges Gepäck für den langen Fußweg zurück zu den S-Bahn-Stationen, aber vor allem viel Schönes und viel Neues für die Erinnerungskiste.

Johannes Aumüller berichtete exklusiv für den TV vom Weltjugendtag

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