"Big Mother" kommt zu Hausbesuchen

Washington. Versicherungen gehen in Amerika neue Wege: Kunden, die oft krank sind, werden so genannte Patienten-Beratern ins Haus geschickt. Sie beraten den Patienten und die Therapie des Arztes. Ziel sind Kostensenkung und Vorsorge.

Der Mann, der an der Haustür von Jean Faber aus dem US-Bundesstaat Minnesota stand, war freundlich, aber bestimmt. Er wolle ihr mit wertvollen Ratschlägen helfen, wie die Büro-Angestellte ihre Rückenbeschwerden lindern könne. Gleichzeitig hatte er einen Ordner mit der gesamten Krankengeschichte der Patientin unter dem Arm. Sein Auftraggeber: Eine große US-Krankenversicherung, die - wie andere Versicherer auch - um Kostendämpfung bemüht ist und deshalb ganz neue, wenn auch umstrittene Wege geht. Wo bleiben die Fortschritte?

Tausende von "Beratern", zumeist ehemalige Krankenschwestern, haben in den letzten Monaten deshalb Kontakt zu jenen US-Bürgern aufgenommen, die wegen häufiger Arztbesuche als Kosten-Treiber gelten, und bei denen sich die Assekuranzen eine Verbesserung des Gesundheitszustandes auch durch eine Änderung des Lebenswandels versprechen. So erfuhr Jean Faber beim Hausbesuch, dass die Anschaffung eines besseren Bürostuhls schon weiterhelfen würde. Auch empfehle es sich, viel Wasser zu trinken. Gleichzeitig bot der Besucher an, einmal die Woche nachzufragen, ob die Patientin Fortschritte gemacht habe. "Disease management" - Krankheits-Management lautet die offizielle Devise für dieses Kostendämpfungs-Programm, bei dem die Versicherer zunächst ungeniert vertrauliche Krankenakten jenen Privatunternehmen in die Hand geben, die für die Organisation der Hausbesuche und Telefon-Betreuung angeheuert wurden. Zwei Millionen US-Bürger sind, so ergab eine Studie, bereits durch dieses Konzept erfasst worden, vor allem Übergewichtige, Herzkranke und Depressive. Gleichzeitig ermöglicht es dieses Kontroll-Programm aber auch, der Arbeit der Ärzte auf die Finger zu sehen. Denn wer beispielsweise Diabetiker ist, wird von den Betreuern darauf hingewiesen, dass der behandelnde Arzt regelmässig die Füße untersuchen muss, um späteren - mit erheblichen Folgekosten verbundene - Amputationen vorzubeugen. Und falls ein Mediziner diese Untersuchung unterlässt, erhält er vom Patienten-Berater eine Erinnerung per Fax oder Email. Diese indirekte Überwachung des Ärzte-Standes stößt derzeit immer mehr Medizinern sauer auf. Michael Fleming, Präsident der US-Vereinigung der Hausärzte, beschwerte sich über eine stetig anschwellende Flut von Anrufen und Faxen jener Patienten-Berater. Doch Amerikas Krankenversicherer spüren bereits Resultate des neuen Programms: Bei den meisten der von der "Big Mother"-Aktion erfassten Patienten konnten die Privatbetreuer Kostenersparnisse von durchschnittlich 200 Euro pro Monat erreichen, vor allem weil weniger Arzt- und Krankenhausbesuche anfielen. Allein im US-Bundestaat Minnesota, so resümierte jetzt der Versicherer Blue Cross, habe man in den letzten zwölf Monaten so umgerechnet 30 Millionen Euro einsparen können.

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