Bis der Rücken bricht

BERLIN. Die Gewerkschaften scheinen sich Stück um Stück auf einen möglichen Machtwechsel in Berlin einzustellen. Aber sie haben auch zunehmend die Sorge, dass die neue Linkspartei ihre Bewegung am Ende spalten könnte.

Wieder einmal ist es Michael Sommer, seit Mai 2002 Vorsitzender des DGB, der durch ein Zeitungsinterview in die Offensive geht. Auf die Frage, ob er Angst vor einem Wahlergebnis am 18. September habe, meinte er jetzt im Berliner Tagesspiegel: ,,Wenn die Wähler mehrheitlich Union und FDP wählen, könnten diese versucht sein, den Gewerkschaften den Rücken zu brechen, so wie in Großbritannien unter Margret Thatcher." Und der DGB legt noch eins drauf: ,,Die Programme sind eindeutig. Kündigungsschutz schleifen, die Mitbestimmung einschränken und Tarifverträge gesetzlich aufbohren, um die Betriebsräte ohne Gewerkschaften in erpresserische Lohnverhandlungen zu zwingen - das richtet sich klar gegen die Arbeitnehmer und soll ihre Organisation schwächen. Aber ich garantiere, wir werden uns wehren."Peter Müller, in Angela Merkels Kompetenz-Team für Wirtschaft und Arbeit zuständig, hatte in mehreren Interviews, unter anderem auch mit dieser Zeitung, unmissverständlich klar gemacht, dass die Union nach einem Wahlsieg am 18. September entschlossen ist, gesetzliche Schritte einzuleiten, die es erlauben, auf Betriebsebene, ohne Beteiligung der Gewerkschaften, Tarifverhandlungen zu führen. Was letztlich nichts anderes bedeuten würde, als dass der Flächentarifvertrag aufgeweicht wird. Außerdem will die Union den Kündigungsschutz lockern. Das will in einer verschärften Version auch die FDP, der mögliche Koalitionspartner der Union.

Nicht mit der Brechstange

Müller hatte aber auch betont, dass die Union Wert darauf legt, die geplanten Veränderungen nicht mit der Brechstange und konfrontativ, sondern im Dialog mit den Gewerkschaften angehen zu wollen. Auf dieses Angebot gibt es bislang aus Gewerkschaftskreisen keine Reaktion. Aber, so erfuhr unsere Zeitung gestern, es soll noch diese Woche ein Gespräch zwischen Union und Kanzlerkandidatin Angela Merkel und den Gewerkschaften unter Beteiligung von DGB-Chef Sommer geben. Im Juni, als klar war, dass es Neuwahlen geben würde, hatte der DGB betont, dass es im Gegensatz zu 1998 und 2002 zur Wahl am 18. September keine Wahlempfehlung der deutschen Gewerkschaften geben werde. Bisher haben sich alle - der DGB selbst, aber auch die mächtigen Einzelgewerkschaften - daran gehalten. Allerdings fällt auf, dass sich auf den Länderlisten der Linkspartei zur Bundestagswahl beachtlich viele Gewerkschaftsfunktionäre aus der mittleren und höheren Bezirksebene finden. Über tausend Gewerkschafter und Betriebsräte unterstützen außerdem namentlich die Linkspartei. Zudem war erst vor kurzem ein Positionspapier der IG Metall bekannt geworden, das das Wahlprogramm der Linkspartei in großen Teilen positiv bewertet. "Es werden Alternativen für den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und für den Erhalt und Ausbau des Sozialstaates vorgeschlagen", heißt es da. Das Programm der neuen Linkspartei unterstütze zudem zentrale gewerkschaftliche Forderungen wie ein öffentliches Investitionsprogramm, die Einführung einer Bürgerversicherung und den Erhalt der Tarifautonomie. Angesichts dieser Auflösungs- und Annäherungstendenzen herrscht in der Berliner DGB-Zentrale die Sorge, dass es nach einem Sieg von Union und FDP zu Spannungen zwischen neuer Regierung und Gewerkschaften kommt, mit Demonstrationen bis hin zu Mobilisierungen in den Betrieben. Und dass davon dann vor allem auch die Linkspartei unter Gregor Gysi und Oskar Lafontaine profitieren könnte. DGB-Chef Sommer zur drohenden Gefahr einer Spaltung: "Darauf würde es hinauslaufen, wenn wir nicht ganz klar dabei bleiben, dass wir eine Interessenvertretung sind, die in Parteien wirkt, aber nicht für sie. Wenn die politischen Konflikte sich zuspitzen, könnte das in die Gewerkschaften überschwappen. Davor warne ich alle Kollegen."

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