Bittere Erkenntnis

Die noch Anfang Juni von US-Präsident Bush geäußerte Ansicht, der Friedensprozess im Nahen Osten komme gut voran und auch die Lage im Irak bessere sich von Tag zu Tag, ist längst brutaler Ernüchterung gewichen.

Die der Welt in Aussicht gestellte visionäre Neuordnung der gesamtenRegion, mit einem politisch modernisierten Irak als "Leuchtturm der Demokratie" in einer reformbedürftigen arabischen Welt erscheint angesichts der dilettantisch konzipierten Nachkriegsordnung in dem besetzten Land noch Lichtjahre entfernt. Und im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern bestimmen wieder Waffen und nicht Worte das Tagesgeschehen. Nichts demonstriert die Plan- und Hoffnungslosigkeit in diesen Tagen besser als der verzweifelte Appell des amerikanischen Außenministers Colin Powell an den eigentlich von Washington für irrelevant erklärten PLO-Chef Jassir Arafat, dem palästinensischen Premierminister Abbas doch bitteschön bei der Bekämpfung der terroristischen Elemente behilflich zu sein. Diese überraschende Wende steht gleichzeitig für eine der wohl krassesten Fehleinschätzungen des Weißen Haus, denn Powell ging offenbar schon vor seiner blauäugigen Aufforderung davon aus, dass sowohl Arafat wie auch Abbas ein ehrliches eigenes Interesse an einer Entmachtung der Terrorgruppen in den eigenen Reihen haben - und sich dieses auch notfalls in einer Entwaffnung durch gewaltsame Maßnahmen äußern würde. Die vergangenen Wochen zeigten jedoch genau das Gegenteil. Anders als im Friedensplan, der "Roadmap", vorgesehen, scheut Abbas von einigen kosmetischen Maßnahmen einmal abgesehen weiter die wahre Kraftprobe mit den Extremisten, während diese - wie die Vertreter von Hamas und dem Islamischen Dschihad jetzt öffentlich eingestanden - in aller Ruhe aufrüsten und sogar die Reichweite ihrer Raketen verbessern konnten. Gleichzeitig gab sich Israel, aus Erfahrung klug geworden, betont vorsichtig bei der Freilassung radikaler Elemente und dem Transfer von Sicherheitsbefugnissen zurück in die Hände der PLO. So hat sich im Prinzip fundamental nichts geändert. Und die "roadmap" erweist sich wie alle anderen Friedenspläne zuvor als schöner, aber unrealisierbarer Traum. Denn weiter muss die Grundregel gelten: Erst wenn es eine palästinensische Führung gibt, die - selbst unter dem Risiko eines Bürgerkriegs - die von der Vernichtung Israels besessenen Terroristen attackiert, erscheint Frieden möglich - getreu der schon bei den Osloer Verträgen festgeschriebenen Devise: Land für Frieden. So bleibt George W. Bush derzeit nur die bittere Erkenntnis, dass auch der schnelle Sieg im Irak wider Erwarten bisher die gesamte Region nicht stabiler gemacht hat - und das Weiße Haus nun sogar erneut mit Personen reden muss, mit denen man eigentlich nie wieder reden wollte. nachrichten.red@volksfreund.de

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