Blasen am Hintern

"Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch." Der Philosoph Theodor W. Adorno meinte Anfang der 50er-Jahre, nach den unmenschlichen Nazi-Perversionen sei es für Deutsche nie wieder möglich, harmlos zu sein, harmlos zu denken, harmlos zu leben.

Sinnbild der Barbarei: die Vernichtungsfabrik Auschwitz. Auf Mahner und Warner wie Adorno wollten in der frisch gegründeten, angeblich "unschuldigen" Republik viele lieber nicht hören. Verdrängen, vergessen, verleugnen - das Prinzip der Vergangenheitsbewältigung. Nazis? Das waren immer die anderen. Es gab zuhauf Persil-Scheine, nie strahlten die Westen weißer. Und so kam es, dass die Deutschen von einem Kanzler regiert wurden, der in seinem ersten Leben Mitglied der NSDAP war und in Hitlers Auswärtigem Amt beschäftigt. Kurt Georg Kiesinger, der einst Berichte über massenhafte Judenmorde als "Gräuelpropaganda" bezeichnet hatte. Scham? Eine Entschuldigung? Fehlanzeige. Der Bodensatz des Antisemitismus blieb - bis heute. 15 bis 20 Prozent der Deutschen, manchen Studien zufolge mehr als 30 Prozent, liebäugeln mit antisemitischen Gedanken. Ein gefundenes Fressen für rechtsextreme Parteien wie die NPD. Die Neonazis predigen die alte verquaste Ideologie. Menschenverachtend, demokratiefeindlich. Was tun, um die Hass-Propaganda einzudämmen? Was tun, um tumbe Parolen, wie sie nun wieder durch den sächsischen Landtag waberten, zu verhindern? Natürlich gilt es, mit allem, was das Gesetz hergibt, gegen die braune Provokation vorzugehen und Volksverhetzer zu bestrafen. Das freilich ist kompliziert, und nicht unbedingt von Erfolg gekrönt - wie das geplatzte Ansinnen, die NPD zu verbieten, leider zeigt. Jämmerlich vorbereitet, erlitt die Demokratie im März 2003 vor dem Verfassungsgericht eine Niederlage, und die Rechtsextremen feierten einen Triumph. Kein Verbot, wegen Verfahrensfehlern. Ein neuer Vorstoß will genau überlegt sein: Es wäre fatal, wenn die NPD einen weiteren juristischen Sieg bejubeln dürfte. Ein absolutes Muss ist die verschärfte politische, die gesellschaftliche Auseinandersetzung. "Rechts sein" ist vor allem imOsten "in”, viele Jugendliche wähnen sich im Widerstand. Die Rechts-Parteien füttern sie mit bizarrer Ungeist-Nahrung. Ewiggestrig ist jung, welch' ein Wahnwitz. Gleichgültigkeit, Verdruss - wer sich allein gelassen fühlt, ist anfällig für Demagogen. Rechte Rattenfänger bemühen sich intensiv um junge Leute; auch in Trier werben sie vor Schulen. Was tun? Nicht ängstlich wegschauen! Nicht schweigen! Zivilcourage zeigen, Meinung sagen. Offenbar planen NPD und DVU ein Rechts-Bündnis für die Bundestagswahl. Es liegt an den aufrechten Deutschen, das Aufflackern des braunen Spuks zu verhindern - auch mit ihrem Kreuz auf dem Stimmzettel. "Wahlen sind Sache des Volkes", sagte der US-Präsident Abraham Lincoln. "Die Entscheidung liegt in seiner Hand. Wenn sie dem Feuer den Rücken kehren und sich den Hintern verbrennen, werden sie eben auf den Blasen sitzen müssen." p.reinhart@volksfreund.de

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