Blutrache vor der Polizeiwache

Wegen gefährlicher Körperverletzung ist gestern ein 61-jähriger Mann aus dem Kosovo vom Trierer Landgericht zu einer Haftstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Die Staatsanwaltschaft hatte ihn wegen versuchten Totschlags angeklagt und fünf Jahre Haft gefordert.

 Tatort Polizeiwache: In dem Eingangsbereich zur Inspektion in Kues wurde ein 21-Jähriger im Sommer vorigen Jahres mit dem Messer schwer verletzt. TV-Foto: Archiv/Ilse Rosenschild

Tatort Polizeiwache: In dem Eingangsbereich zur Inspektion in Kues wurde ein 21-Jähriger im Sommer vorigen Jahres mit dem Messer schwer verletzt. TV-Foto: Archiv/Ilse Rosenschild

Trier. Es war ein Racheakt. Der 61-jährige Kosovo-Albaner, der seit 40 Jahren in Deutschland lebt, wollte die verletzte Familienehre wiederherstellen. Seine über alles geliebte Tochter, das Nesthäkchen, "seine Prinzessin", wie er während des Prozesses die 17-Jährige immer wieder nannte, war mit ihrem vier Jahre älteren Freund, den sie zwei Jahre zuvor über das Internet kennengelernt hatte, durchgebrannt.

Die beiden jungen Leute wollten heiraten, planten eine gemeinsame Zukunft in Bernkastel-Kues, wo der Freund, ebenfalls ein Kosovare, mit seiner Familie lebt.

Das wollte ihr Vater verhindern. Zumal der Freund nicht gut für seine Tochter sei, die Familie gehöre zu einem anderem Volksstamm der Kosovaren. Als die Eltern erfuhren, dass der Freund ihre Tochter quasi entführt hatte, mit ihr von Albstadt über Duisburg (wo die beiden in einer Wohnung von Verwandten des jungen Mannes übernachteten) nach Bernkastel-Kues gefahren war, sahen sie offenbar rot. Zusammen mit ihrem ältesten Sohn und zwei weiteren Verwandten fuhren sie an die Mosel. Woher sie wussten, wo genau sich die 17-Jährige aufhielt, blieb während des Prozesses unklar.

Am 20. Juli 2008, einem Sonntag, kam es dann zu dem zufälligen Zusammentreffen der beiden Familien. Der damals 21-Jährige, sein Vater, sein Onkel und seine Freundin wollten gerade bei der Polizei in Bernkastel-Kues melden, dass die als vermisst geltende 17-Jährige bei ihnen sei, als der VW Golf mit den Eltern des Mädchens vor die Wache gefahren kam. Angeblich wollten die Insassen bei der Polizei nachfragen, wo der Freund der Tochter wohnte. So schildert es jedenfalls der Vater vor Gericht. Als sie ihre Tochter sah, stürmte die Mutter aus dem auf der Straße abgestellten Wagen, rannte zu dem Mädchen und redete lautstark auf es ein. Der Bruder der jungen Frau soll versucht haben, seine Schwester in den Wagen zu zerren. Dann kam es zur Rangelei zwischen den beiden Familien, die Mutter des Mädchens wurde angegriffen. "Ich habe mich verloren", sagt der 61-Jährige. Irgendwann hatte er dann ein Küchenmesser, ein Klappmesser mit einer neun Zentimeter langen Klinge, in der Hand und ging damit auf den Freund seiner Tochter los. Er habe ihm Angst einjagen wollen, beteuerte der vierfache Vater bei seinem Geständnis, das er im Laufe des Prozesse abgelegt hat. Der Freund der Tochter wurde bei der Attacke damals schwer verletzt, nur um Millimeter verfehlte der Stich die Niere. Während die Staatsanwaltschaft davon ausging, dass der vierfache Vater den Freund töten wollte und dass das auch der Grund gewesen sei, warum er das Messer mit nach Bernkastel-Kues genommen habe, gab es während des Prozesses dafür nicht genügend Beweise. Die Aussagen der an der blutigen Auseinandersetzung vor der Polizeiwache Beteiligten stimmten diesbezüglich nicht überein.

Auch einen Tötungswahn, den die Staatsanwältin dem 61-Jährigen vorwirft, erkannte das Gericht unter Vorsitz der Richterin Petra Schmitz nicht. Er habe nicht vorgehabt zu töten, sagte Schmitz in ihrer halbstündigen Urteilsbegründung.

Die beiden Anwälte des Mannes plädierten auf eine Bewährungsstrafe wegen Körperverletzung, auch im Hinblick darauf, dass die beiden Familien durch die weiterhin bestehenden Hochzeitspläne der Tochter und ihres Freundes miteinander auskommen müssten.

Zwar lautete das Urteil tatsächlich auf gefährliche Körperverletzung statt versuchten Totschlags - so wie von der Staatsanwaltschaft beantragt. Doch mit einer Haftstrafe von vier Jahren und drei Monaten ist eine Bewährung nicht möglich. Die Staatsanwaltschaft forderte fünf Jahre Haft. Richterin Schmitz sprach von Blutrache. Der Vater habe sich verletzt gefühlt, habe daher zielgerichtet zugestochen. Die Tochter lebt noch immer an einem geheimgehaltenen Ort, aus Angst vor Rache durch die Familie.

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