Brexit beschert der Region lauter neue Deutsche

Trier/Wiltingen · Viele Briten sind sauer auf ihre Landsleute, denn sie wollen EU-Bürger sein, in Deutschland leben, in Luxemburg arbeiten und frei reisen. Statt nur zu hadern, handeln sie.

 Corin Sands ist in Somerset im Westen Englands aufgewachsen. Schon seit Jahren lebt der Künstler in Wiltingen an der Saar, doch erst der drohende Brexit hat ihn dazu bewegt, Deutscher zu werden.

Corin Sands ist in Somerset im Westen Englands aufgewachsen. Schon seit Jahren lebt der Künstler in Wiltingen an der Saar, doch erst der drohende Brexit hat ihn dazu bewegt, Deutscher zu werden.

Foto: Katharina de Mos

Er hatte nie geplant, Deutscher zu werden. Schon seit mehr als zehn Jahren lebt der englische Kunstmaler Corin Sands (45) in der Region Trier, hat geheiratet, in Wiltingen an der Saar ein Haus gekauft, zwei Kinder bekommen, drei Jahre lang die prächtigen Malereien in der Trierer Liebfrauenkirche restauriert, Malkurse gegeben, mystische Wälder im Stil britischer Landschaftsmaler auf Leinwand gebannt und sein Leben gelebt.

In all dieser Zeit hatte er nie den Wunsch, deutsch zu sein. Bis zum Morgen des 23. Juni 2016. Ein Morgen, an dem auch viele Deutsche zunächst ungläubig, dann geschockt die Nachricht des Tages verarbeiteten: 51,89 Prozent der Briten hatten bei einem Referendum für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union gestimmt.

"Der Brexit baut Mauern auf. Er ist schlecht für künftige Generationen und er könnte auch mir und meiner Familie Zukunftschancen verbauen", sagt Sands. Seit wenigen Wochen ist er nicht nur Brite, sondern auch Deutscher.
Er hat sich einbürgern lassen - so wie viele seiner Landsleute dies nun tun. Die Kreisverwaltung Trier-Saarburg berät nach Auskunft von Pressesprecher Thomas Müller derzeit täglich Menschen aus dem Vereinigten Königreich, die die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben wollen. Seit 2012 sind 50 der 333 Briten, die im Landkreis leben, Deutsche geworden. Aktuell stellen sie sogar ein Drittel sämtlicher Einbürgerungsanträge. Müller zufolge geht es vielen um die freie Wahl des Arbeitsplatzes, um Reisefreiheit und die Sicherheit, als vollwertiges Mitglied der deutschen Gesellschaft zu gelten. Manchen sei es auch wichtig, sich von europakritischen Landsleuten abzugrenzen.

Auch in Trier und den anderen Landkreisen der Region (siehe Extra) macht sich der geplante Brexit bemerkbar - wenn auch längst nicht so stark wie im Kreis Trier-Saarburg, wo besonders viele Briten leben, die in Luxemburg arbeiten - und das auch in Zukunft tun wollen, ohne deswegen eine Erlaubnis beantragen zu müssen.

Zu ihnen gehört auch Finanzexperte Graham Cheshire (64, ebenfalls Wiltingen), der schon seit 40 Jahren in der Region wohnt und am gleichen Tag wie Corin Sands Deutscher wurde. In all dieser Zeit konnte er, wie er sagt, bequem hier leben. Die Brexit-Entscheidung nennt er einen "unhöflichen Weckruf". "Ich hätte nie gedacht, dass die britische Bevölkerung eine so erstaunlich dumme Entscheidung treffen kann", sagt er. Cheshire fürchtete, die Vorteile zu verlieren, die ihm die EU bisher bot. Würde er bald Visum und Arbeitserlaubnis brauchen? "Es gab nur eine logische Konsequenz", sagt der frischgebackene Deutsche und ist dem Brexit-Votum im Nachhinein sogar fast dankbar, weil es ihn zwang zu tun, was er schon längst wollte.

Nur sechs Wochen habe es gedauert, sich auf die neue Nationalität vorzubereiten. "Es war unkompliziert", sagt Cheshire, der unter anderem nachweisen musste, dass er Deutsch spricht, straffrei ist und dem Staat nicht auf der Tasche liegen wird. Entgegen aller Klischees, die er über das deutsche Beamtentum gehört hatte, sei sein Antrag nicht nur schnell und kompetent, sondern auch sehr freundlich bearbeitet worden. Und an die Zeremonie mit Bläser-Quartett, Fingerfood, Freunden, Familie und Nationalhymne wird er sich noch lange erinnern. "Möge der Brexit beginnen", sagt Cheshire. Corin Sands und er können nun etwas gelassener beobachten, wie ihr Geburtsland Abschied aus der EU nimmt.Extra

(Mos) Eingebürgerte Briten können ihre alte Staatsbürgerschaft vorerst behalten. Die meisten Briten in der Region leben im Kreis Trier-Saarburg (333), wo es auch die meisten Einbürgerungen gibt.In Trier wohnen 198 Engländer, Schotten, Waliser und Nord-Iren. In den vergangenen fünf Jahren stellten 16 einen Einbürgerungsantrag - fünf von ihnen nach dem Brexit-Referendum. Von den 74 Briten im Eifelkreis Bitburg-Prüm haben zwar nur zwei einen Einbürgerungsantrag gestellt, doch gibt es seit Mitte des vergangenen Jahres vermehrt Beratungsgespräche. 48 Briten leben im Vulkaneifelkreis, einer wurde eingebürgert. Im Kreis Bernkastel-Wittlich haben 158 Menschen aus dem Vereinigten Königreich ihren Hauptwohnsitz. Sechs davon werden bald auch einen deutschen Pass bekommen.Extra

 Graham Cheshire

Graham Cheshire

Foto: Katharina de Mos

(Mos) Wer die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben möchte, muss in der Regel schon acht Jahre in Deutschland leben, ausreichende Deutschkenntnisse besitzen, Wissen über die deutsche Gesellschaft nachweisen und seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten. Zudem müssen Antragsteller straffrei sein und sich zum Grundgesetz bekennen. Wer nicht aus der Europäischen Union kommt, muss seine bisherige Staatsbürgerschaft aufgeben.

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