Brücke noch nicht überschritten

BERLIN. Das Unbehagen über einen Einsatz der Bundeswehr im Kongo ist in Berlin mit Händen zu greifen. Regelrecht Angst vor der Entscheidung macht sich breit. Am größten sind die Widerstände in der Union.

Am Dienstag berichtete Verteidigungs-Staatssekretär Friedbert Pflüger (CDU) der Unionsfraktion über den Stand der Dinge. Eine Debatte gab es aus Zeitgründen nicht, erfuhr diese Zeitung, aber Fraktionschef Volker Kauder sagte: "Das bedeutet ausdrücklich nicht, dass wir den Bericht zustimmend zur Kenntnis nehmen." Auch Kanzlerin Angela Merkel sah sich den Informationen zufolge bereits genötigt, die Gemüter in der Union zu beruhigen. "Die Brücke ist noch nicht überschritten", sagte sie den Kritikern. "Kinshasa ist ein Pulverfass", meint der CDU-Abgeordnete Karl-Georg Wellmann und fürchtet in der kongolesischen Hauptstadt ein ähnliches Horrorszenario wie 1993 beim gescheiterten US-Einsatz in Mogadischu (Somalia). "Ich möchte nicht, dass tote deutsche Soldaten durch die Stadt geschleift werden." Wellmann stand kürzlich im Arbeitskreis Außenpolitik der Union nicht allein mit seinen Zweifeln. Ex-Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer und die Abgeordnete Anke Eymer hatten ebenfalls Fragen. Aber es gibt in der Union auch starke Befürworter wie den Afrika-Experten Hartwig Fischer. Die Menschen im Kongo seien des Krieges müde und setzten alle Hoffnung auf die Präsidentenwahl am 18. Juni. "Ich sehe das auch emotional, wenn ich daran denke wie viele dort sterben", sagt Friedrich, der das Land häufig bereist hat. Europa müsse ein starkes Interesse an einer friedlichen Entwicklung haben. Laut Fischer geht es darum, vor und nach der Wahl politisch wichtige Orte in Kinshasa gegen Übergriffe abzusichern, wie zum Beispiel den Rundfunksender. Allein die Anwesenheit der EU-Truppe werde beruhigend wirken, meint Fischer. Da hat Wellmann erhebliche Zweifel. Er weist darauf hin, dass in der Nähe der Hauptstadt Rebellentruppen diverser Warlords stehen, zu denen auch Kindersoldaten gehören. "Sollen deutsche Soldaten auf diese Kindersoldaten schießen?", fragt Wellmann. Doch der Zug rollt: Javier Solana, der EU-Außenbeauftragte, wurde am Dienstag von den europäischen Verteidigungsministern gebeten, weitere Vorklärungen im Kongo zu treffen. Kehrt er mit einem befriedigenden Ergebnis zurück, wird die EU noch im März eine Truppe zusammenstellen. Anfang April müsste der Bundestag dann entscheiden. "Wir sind enorm unter Zeitdruck", sagt Grünen-Sicherheitsexperte Winfried Nachtweih. Solana musste sich gestern in Brüssel kritischen Fragen der Mitglieder des Verteidigungsausschusses des Bundestages stellen, die dort zu Besuch waren. Seine Antworten lassen ein erstes Konzept erkennen. Rund 400 europäische Soldaten sollen im Einsatz sein, und zwar nur in der Hauptstadt Kinshasa. Weitere 1000 werden in der benachbarten Republik Kongo (Brazzaville) jenseits des Kongo-Flusses und in Gabun als Reserve stationiert. Es soll eine multinationale reine EU-Truppe werden, mit starkem deutschen Anteil. Ein Drittel Franzosen, ein Drittel Deutsche, ein Drittel mehrere andere Staaten, diese Lösung hatte Merkel mit Frankreichs Präsident Chirac diskutiert. Möglicherweise soll die Truppe vom Einsatzführungsstab in Potsdam aus geführt werden. Der Einsatz wird auf drei bis vier Monate begrenzt, bis die neue Regierung gebildet ist. Das ist die "Exitstrategie", die Rückzugsplanung. Es soll ein "robustes Mandat" geben. Also mittelschwere Waffen. Die Nato wird nicht beteiligt. Die wichtigste Frage aber ist die nach dem Sinn. SPD-Vizefraktionschef Walter Kolbow etwa formuliert: "Was können ein paar hundert EU-Soldaten da wirklich ausrichten. Und was ist der Preis?" Und man brauche ein UN-Mandat. Derzeit gibt es von den Vereinten Nationen nur eine Voranfrage.

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