Brüderles Hochspannungspläne

Berlin/Brüssel · Seit Tagen verkündet die Bundesregierung, dass ihre atompolitische Wende eine Kehrseite hat: den verstärkten Ausbau neuer Starkstromleitungen für die Windenergie.

Gestern legte Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) in Brüssel bei seinen europäischen Ministerkollegen ein Eckpunktepapier für ein "Netzausbaubeschleunigungsgesetz" (Nabeg) vor. Er zog den Vergleich mit der Planungsbeschleunigung, die es nach der Wende in Ostdeutschland bei den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit gab. Nur so werde man das Zeitalter der erneuerbaren Energien schneller erreichen, meinte der Minister. Nachfolgend einige wichtige Fragen und Antworten.

Was besagen die Eckpunkte?

Im Wesentlichen, dass die Planung neuer Starkstromleitungen durch Deutschland bundesweit koordiniert werden soll. Es soll einen Bundesnetzplan geben, der verbindlich die Korridore festlegt, die für Höchstspannungsleitungen frei bleiben müssen. Das Genehmigungsverfahren dafür soll bundesweit einheitlich sein und einfacher werden. Betroffene Gemeinden sollen einen finanziellen Ausgleich bekommen, die Planung aber nicht blockieren können. Ob und wie auch Bürgerrechte eingeschränkt oder Rechtswege verkürzt werden, geht aus den Eckpunkten nicht hervor.

Wie groß ist der Ausbaubedarf?

Die Deutsche Energieagentur (Dena) hat im vergangenen Herbst einen Bedarf von 3600 Kilometern neuer Starkstromleitungen bis 2020 errechnet - auf der Basis der geltenden Ausbauszenarien für die erneuerbaren Energien und auf der Basis des Atomausstiegs. Die Dena setzt dabei auf 380-KV-Hochspannungsleitungen und rechnet mit Kosten von 9,7 Milliarden Euro. Diesen Annahmen folgt auch Brüderle. Viele Experten bezweifeln allerdings eine solche Größenordnung sowohl beim Bedarf wie bei den Kosten, weil alternative Technologien nicht geprüft wurden. Aktuell gibt es mehrere Stromleitungsprojekte, die wegen Bürgereinwänden und Planungsverzögerungen stocken, vor allem eine Querung des Thüringer Waldes nach Süden und eine Verbindung zwischen Mecklenburg und Hamburg. Bei den geplanten Offshore-Anlagen auf See soll laut Eckpunkte-Papier von vornherein eine Koordinierung der Leitungen Richtung Land erfolgen und eine Sammel anbindung gesetzlich verankert werden.

Warum müssen die Stromnetze überhaupt ausgebaut werden?

Windstrom wird hauptsächlich im Norden produziert. In 20 Jahren sollen 39 Prozent des Stroms aus Wind kommen, doppelt so viel wie heute. Ballungszentren und Industrie aber befinden sich vor allem im Westen und Süden des Landes. Schon heute gibt es in einigen Regionen, etwa Nordfriesland, Probleme, den Ökostrom bei starkem Wind loszuwerden; dann müssen die Anlagen gedrosselt werden. Da Windstrom unstet fließt und sich Atom- und Kohlekraftwerke nur schwerfällig einpegeln lassen, wird es in den Leitwarten der Netzbetreiber ohnehin immer komplizierter, die Spannung stabil zu halten.

Welche Alternativen gibt es?

380-Kilovolt-Hochspannungsleitungen, die am meisten umstritten sind, kann man auch unter die Erde legen. Das einzige Beispiel dafür befindet sich in Berlin, wo ein Tunnel mit einem solchen Kabel die ganze Stadt quert. Diese Technik ist zwar um den Faktor zehn teurer als die herkömmlichen Strommasten, könnte aber ebenso wie erdverlegte Gleichspannungskabel lokale Konflikte lösen helfen. Mögliche Alternativen zu neuen Trassen wäre eine Führung entlang von Bahnlinien oder Autobahnen. Der Ausbau von Speichertechnologien wiederum könnte neue Leitungen zum Teil ganz überflüssig machen. Ob das große, leistungsfähige Batterien sind, die nach dem Prinzip der Elektrolyse Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufspalten, oder Pumpspeicherkraftwerke - sie alle könnten aus der unsteten Öko-Energie einen sogenannten grundlastfähigen Strom machen. Brüderle will neue Speicher fördern, indem sie künftig 20 Jahre, doppelt so lange wie bisher, von der Zahlung von Netzentgelten befreit werden sollen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort