Brüssel bremst Dobrindts PKW-Maut aus

Brüssel · Die EU-Kommission sieht Ausländer diskriminiert und leitet ein Vertragsverletzungsverfahren ein. Der Bundesverkehrsminister will die Abgabe nun erst nach der europarechtlichen Klärung einführen. Das wird frühestens Ende 2018 sein.

Es ist ein Konflikt mit Ansage: Nachdem die EU-Kommission schon vor der Beschlussfassung Bedenken ins Feld geführt hatte, geht sie nun aktiv gegen die neue PKW-Maut in Deutschland vor. "Eine Straßennutzungsgebühr ist nur dann EU-rechtskonform, wenn sie nicht auf Grund der Staatsangehörigkeit diskriminiert", teilte die Brüsseler Verkehrskommissarin Violeta Bulc am Donnerstag mit: "Wir haben erhebliche Zweifel, ob die einschlägigen deutschen Gesetze diesem Grundsatz entsprechen." Ihre Behörde, die als "Hüterin der Verträge" über die Einhaltung des Europarechts wacht, reagiert damit zum frühestmöglichen Zeitpunkt. Die sogenannte Infrastrukturabgabe erschien erst am 11. Juni im Bundesgesetzblatt.

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt, der schon mit diesem Schritt gerechnet hatte, kündigte noch vor der offiziellen Brüsseler Beschlussfassung am Donnerstagmorgen in einem Interview mit der "Bild"-Zeitung eine radikale Reaktion an: Die ursprünglich für 2016 geplante Einführung der Maut wird auf unbestimmte Zeit verschoben. "Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs können dann Suche und Auswahl eines Betreibers erfolgen", sagte Dobrindt dem Blatt.

Von der EU-Kommission vor den EuGH gezerrt zu werden, ist der letzte Schritt in einem Vertragsverletzungsverfahren. Die Aussage des CSU-Politikers, der gegen große Widerstände das umstrittene Wahlkampfversprechen seiner Partei umgesetzt hat, legt deshalb nahe, dass er nicht wie sonst üblich in weitere Verhandlungen mit der EU-Kommission eintreten und das Gesetzespaket nachbessern, sondern es direkt auf ein Urteil ankommen lassen will. Bis dahin kann jedoch noch viel Zeit vergehen.

Im schnellsten denkbaren Fall könnten, so hieß es in der Brüsseler Behörde, "die vorangehenden Verfahrensetappen in einem halben Jahr durchlaufen werden". Von der Klage bis zum Urteil vergehen beim EuGH laut dem Gerichtssprecher Hartmut Ost im Durchschnitt 20 Monate. Mit einer Entscheidung aus Luxemburg wäre demnach nicht vor Herbst 2017 zu rechnen, erst danach will Dobrindt einen Systembetreiber suchen. Selbst bei einer für die Bundesregierung positiven Entscheidung aus Luxemburg könnte die Maut also kaum vor Mitte 2018 oder Anfang 2019 kommen.

Die Verschiebung werteten mehrere Europapolitiker als Einknicken. "Dobrindt gesteht ein, dass sein absurdes Vorhaben der Prüfung durch den Europäischen Gerichtshof nicht standhalten wird", sagte der Grünen-Europaabgeordnete Michael Cramer, der dem Verkehrsausschuss vorsteht; dies stelle "den Anfang vom Ende der ausländerfeindlichen Pläne" dar. "Die PKW-Maut wird kommen", wider- und versprach der so Gescholtene dagegen per Interview: "Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat haben EU-konforme Gesetze beschlossen."

Genau das wird in Brüssel anders gesehen. In Artikel 18 des EU-Vertrags wird "jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten". Die EU-Kommission vermutet nun aber eine indirekte Diskriminierung durch die Kombination einer Infrastrukturabgabe für alle und einer Steuerentlastung nur für Bürger der Bundesrepublik. "Deutsche Nutzer - und allein diese - werden die Straßennutzungsgebühr nicht zahlen, weil ihre KFZ-Steuer um den exakten Betrag der Gebühr gesenkt wird", schreibt die Behörde in ihrer Begründung. Dobrindts Argument, in Österreich sei 1997 parallel zur Einführung der Maut die Pendlerpauschale eingeführt worden, lässt sie nicht gelten, da dies im Gegensatz zur deutschen KFZ-Steuer eine nutzungsabhängige Entlastung darstelle, die einen echten Zusammenhang zu den tatsächlichen Mautkosten habe. "Im deutschen System fehlt das Preissignal", sagte ein hoher Fachbeamter. Er stellte jedoch auch klar: "Es gibt viele denkbare Lösungen - aber keine, mit der 1:1 nur deutsche Nutzer entlasten werden."

Sollte sich die Bundesregierung doch auf nachträgliche Änderungen einlassen oder dazu gezwungen werden, müsste sie auch "die Preise für Kurzzeitvignetten, die typischerweise für ausländische Nutzer vorgesehen sind", senken, da die EU-Kommission diese im Vergleich zu Jahresabos, die am meisten von inländischen Nutzern gekauft werden dürften, noch immer für "überproportional teuer" hält. Ein weiterer Punkt, der in dem Blauen Brief für Berlin enthalten ist, betrifft die Wettbewerbsverzerrung etwa im grenzüberschreitenden Taxi-, Kurier- oder Lieferverkehr.

Die EU-Kommission kündigte am Donnerstag an, dass sie an Gesetzesvorschlägen für ein europaweites Mautsystem oder zumindest einheitlichen Regeln arbeitet. Möglicherweise werde diese noch vor dem Mauturteil aus Luxemburg kommen.

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