Brüssel sagt Steuerdumping den Kampf an

Brüssel · EU-Vorschlag: Mit einem Gesetzespaket sollen Schlupflöcher geschlossen werden, mit denen vor allem länderübergreifend tätige Konzerne ihre Abgabenlast kleinrechnen. Die Gemeinschaft würde damit die Empfehlungen der OECD umsetzen.

Ohne Steuerhinterziehung und Steuersparmodelle wären Europas Staatskassen, denen dadurch Schätzungen zufolge viele hundert Milliarden Euro entgehen, auf einen Schlag saniert. Der frühere EU-Steuerkommissar Algirdas Semeta hat allein den Anteil der umgangenen Unternehmenssteuern auf jährlich 150 Milliarden Euro taxiert. Sein Nachfolger Pierre Moscovici aus Frankreich wird nun an diesem Donnerstag der Öffentlichkeit ein Gesetzespaket vorstellen, dass den Missstand abstellen oder zumindest zu deutlich höheren Zahlungen an den Fiskus führen soll. Der Entwurf dafür lag dieser Zeitung am Dienstag bereits vor.

Die sechs darin von Moscovici vorgeschlagenen Maßnahmen würden nicht nur Unternehmen mit Hauptsitz in der Europäischen Union betreffen, sondern auch die europäischen Ableger internationaler Konzerne wie Amazon, Apple, Google, Facebook oder Starbucks. Die bisher von diesen in Irland, den Niederlanden oder Luxemburg gezahlten Ministeuern sind bereits Gegenstand von Beihilfeverfahren der EU-Kommission, da sie aus deren Sicht eine ungerechtfertigte Subventionierung darstellen. In Gang gekommen waren sie nach den sogenannten LuxLeaks-Enthüllungen. Nun soll die Neuregelung nachträgliche Ermittlungsverfahren unnötig machen.

Erstens will die EU-Kommission die Absetzbarkeit von Zinszahlungen begrenzen. Konzerne in Hochsteuerländern finanzieren sich oft über unternehmensinterne Schulden und arrangieren es so, dass hohe Zinsen an Tochterfirmen in Niedrigsteuergebieten "gezahlt" werden. "Auf diese Weise nimmt die Steuerbasis in Hochsteuergebieten ab, während sie in Niedrigsteuergebieten steigt", schreibt die Brüsseler Behörde. Insgesamt sinke damit die Steuerlast "für den Konzern als Ganzes". Künftig soll ein Unternehmen maximal 30 Prozent der Zinszahlungen steuerlich absetzen können, maximal eine Million Euro. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD), auf deren Empfehlungen vom Herbst die Kommissionspläne beruhen, hatte einen Korridor von zehn bis 30 Prozent vorgeschlagen. Den EU-Staaten soll es freistehen, selbst ein strengeres Limit zu beschließen.

Zweitens wird eine sogenannte "Exit-Steuer" vorgeschlagen, wenn ein Unternehmen Betriebsteile oder gleich seinen Hauptsitz ins Ausland verlagert. Dabei soll es keine Rolle spielen, ob es sich um ein anderes europäisches Land oder eines in Übersee handelt. Eine unterschiedliche Behandlungen gibt es nur dahingehend, dass die Steuer bei einer Verlagerung innerhalb Europas über fünf Jahre hinweg gestückelt werden könnte. Die Höhe der Exit-Abgabe soll sich "am Marktwert der verlagerten Betriebsteile" orientieren.

Eine genaue Zahl liefert die EU-Kommission im dritten Teil der Anti-Steuerdumping-Richtlinie. So dürfen alle Verrechnungen mit Gewinnen und Verlusten im Ausland nicht dazu führen, dass der Fiskus von einem Unternehmen weniger als 40 Prozent dessen kassiert, was es unter denselben Umständen von einem voll ansässigen Unternehmen verlangt hätte. Damit würde effektiv eine Mindestbesteuerung eingeführt. Deren Höhe jedoch wird vom Mannheimer SPD-Europaabgeordneten Peter Simon kritisiert: "Das ist viel zu wenig - im Falle Irlands mit einem Körperschaftssteuersatz von nur 12,5 Prozent, würden wir bei fünf Prozent landen".

Eine Anti-Missbrauchs-Klausel sieht viertens vor, dass alle Arrangements mit Finanzbehörden, die dem Zweck der neuen Richtlinie zuwider laufen, bei der Steuerberechnung "ignoriert" werden sollen. Fünftens würden Tochterfirmen, die wie im Fall des Handyherstellers Apple nur dazu dienen, Lizenzgebühren einzusammeln, neuen Bestimmungen unterworfen. Die Richtlinie sieht vor, dass geistiges Eigentum der Muttergesellschaft zugeordnet wird - und demnach auch an deren Firmensitz versteuert werden muss. Abschließend ist - sechstens - geplant, die Definitionen bestimmter Steuerpraktiken anzugleichen. Bisher ist es so, dass die EU-Staaten Unternehmen steuerlich unterschiedlich einordnen. Im Ergebnis führt das oft zu "doppelter Nicht-Besteuerung". Nun sollen die Behörden im Land der Tochterfirma angewiesen werden, dieselben Kriterien anzulegen wie der Fiskus am Hauptsitz.

In einem weiteren Rechtsakt will Moscovici zudem vorschlagen, in der EU das sogenannte "Country-by-country-Reporting" einzuführen. Land für Land müssten Unternehmen dann den Steuerbehörden mitteilen, wie hoch ihr Gewinn im jeweiligen Staat war. Der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold rügt, dass dabei nur der OECD-Empfehlung gefolgt wird und die Zahlen nicht öffentlich gemacht werden sollen: "Europas Bürger erhalten auch weiter keine Informationen darüber, ob Multis einen fairen Anteil bezahlen."

Die meisten EU-Staaten sind Mitglied der OECD und haben all diese Prinzipien schon akzeptiert. Jedoch ist bei EU-Steuerrichtlinien Einstimmigkeit verlangt - daran sind Gesetze schon häufig gescheitert, oder sie traten erst Jahre später in Kraft.

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