Brüssel will mit neuen Zusagen Ungarns Widerstand gegen Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge brechen

Die Flüchtlingskrise spaltet die Europäer immer tiefer: Deutlicher als je zuvor hat Ungarn seinen Widerstand gegen die Aufnahme von Flüchtlingen kundgetan und seine harten Maßnahmen gegen Asylbewerber gerechtfertigt. "Die Flüchtlingskrise ist kein europäisches, sondern ein deutsches Problem", sagte Ministerpräsident Viktor Orban bei einem Besuch in Brüssel.

Der rechtskonservative Premier Viktor Orban warf der Bundesregierung indirekt vor, mit ihrer Entscheidung aus der Vorwoche, Asylanträge von Syrern zu bearbeiten, obwohl sie zuvor bereits in einem anderen EU-Land waren, erst einen Fluchtanreiz geschaffen zu haben: "Kein Flüchtling will in Ungarn oder Polen bleiben, alle von ihnen wollen nach Deutschland."

Es sei "verantwortungslos", bei Menschen in Krisenregionen solche Erwartungen zu wecken, kritisierte er in einem parallel erschienen Beitrag für die "FAZ". Dort schrieb er auch, die Grenzsicherung müsse Vorrang vor der Aufnahme von Flüchtlingen haben: "Wer überrannt wird, kann niemanden aufnehmen." Zudem bedrohten die meist muslimischen Flüchtlinge Europas "christliche Kultur".

In Brüssel und Berlin fielen die Reaktionen hart aus. EU-Ratschef Donald Tusk sagte vor seinem Treffen mit Orban, "ein Verweis auf das Christentum in der Flüchtlingsdebatte muss an erster Stelle bedeuten Bereitschaft zur Solidarität heißen". Die SPD rügte den Budapester Premierebenfalls scharf: "Wenn Herr Orban sagt, Flüchtlinge seien ein deutsches Problem, weil die Flüchtlinge in Deutschland anständig behandelt werden, dann ist das eine zynische Betrachtungsweise", so Fraktionschef Thomas Oppermann. "Ich verteidige die Bundesregierung nicht gerne", sagte die Grünen-Europaabgeordnete Ska Keller dieser Zeitung, "aber Orbans Äußerungen sind einfach nur absurd - die Menschen haben schließlich einen Grund zur Flucht".

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker versuchte bei seinem Treffen mit Orban am frühen Donnerstag, dessen Widerstand gegen einen europaweiten Verteilungsschlüssel zu brechen - rechtzeitig vor einem Treffen mehrerer osteuropäischer Regierungschefs an diesem Freitag. Nach Angaben aus Kommissionskreisen bot Juncker an, dass neben Italien und Griechenland im Zuge einer Umsiedlung auch Ungarn Flüchtlinge abgenommen werden könnten. Außerdem sollen europäische Experten das Land bei der Registrierung der Neuankömmlinge unterstützen und zusätzliche Finanzhilfen fließen.

Dies ist Teil eines Vorschlagspakets, dass Juncker kommenden Mittwoch im Straßburger Europaparlament präsentieren will. Diplomaten bestätigten dieser Zeitung, dass die Pläne die verbindliche Neuverteilung weitere 120000 Flüchtlingen in Europa vorsehen. Ratschef Tusk nannte gestern die Zahl von "mindestens 100 000". In Brüssel mehrten sich am Donnerstag zudem die Anzeichen, dass es noch im September einen EU-Sondergipfel zur Flüchtlingskrise geben wird.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort