Brummiger Analytiker

Tony Blair übergibt am Mittwoch das Amt des britischen Premierministers an Gordon Brown. Der lächelnde Charismatiker geht, der brummige Analytiker kommt.

Manchester. Artigen Beifall gab es, als Gordon Brown mit seiner Frau Sarah in der Bridgewater Hall von Manchester ankam. Kein Vergleich zur Partystimmung, in der sich Tony Blair vor sieben Wochen in seinem Wahlkreis in Nordengland verabschiedete. Heute, an Gordon Browns großem Tag, beschränkt sich Blair auf die Conférencier-Rolle und kündigt seinen Nachfolger mit ein paar kurzen, freundlichen Worten an. Dann spricht Brown, der zuvor - ohne Gegenkandidaten - zum neuen Parteichef bestimmt worden war. Er dankt Blair unter anderem für dessen "überragende Präsenz in der internationalen Politik". Seine eigene Rede ist fast ausschließlich innenpolitisch. Die EU, das große Thema der vergangenen Tage, kommt nur in einem Nebensatz vor, im Zusammenhang mit dem Kampf gegen globale Erwärmung und Terrorismus.Auf der Schwelle zur Peinlichkeit

Brown redete solide, aber wenig mitreißend. Die neue Nüchternheit ist durchaus Strategie: Demut und Einfühlungsvermögen sind die neuen Schlagworte bei Labour. Er wolle lernen, sagt Brown. "Gordon hört zu", heißt es an diesem Sonntagnachmittag immer wieder. Einfach nur "Labour", ganz klassisch, nennt sich die Partei wieder. Auch das Ambiente ist klassisch: ein Konzertsaal, an der Wand eine große Kirchenorgel. Eher getragene Töne als schrilles Spektakel sollen fortan den Labour-Sound bestimmen. Chorgesang und rhythmisches Klatschen passen gut zum etwas schwerfälligen Image des neuen Chefs. Brown tut inzwischen auch lieber nicht mehr so, als ob er sich wie Blair mit Popmusik auskennt. Eine der Brown-Geschichten, die in den britischen Medien genussvoll ausgebreitet wurden, ging über sein Treffen mit Jermaine Jackson, dem Musiker-Bruder des Popstars Michael Jackson. Brown marschierte auf Jermaine Jacksons Frau zu und sagte, wie sehr er ihr Werk liebt, ein nicht vorhandenes Werk. Brown lebt immer auf der Schwelle zur Peinlichkeit. Bei seiner Kandidatenrede versperrten unlängst zwei am Podium befestigte Plexiglasscheiben den ungetrübten Blick auf sein Gesicht, was komisch aussah. Bei Blair dagegen war die Inszenierung immer perfekt.Zehn Jahre musste Brown warten, um zu bekommen, was ihm seiner Meinung nach von Anfang an zustand. Als die Konservativen abgewirtschaftet hatten, Mitte der 90er-Jahre, galt Brown als aussichtsreichster Kandidat für die Chefrolle. Gemeinsam mit Tony Blair hatte er damit begonnen, die alte Arbeiterpartei zu reformieren, den lähmenden Einfluss der Gewerkschaften zurückzudrängen und "New Labour" für die politische Mitte wählbar zu machen. Doch Blair, der junge Mann mit dem Bambiblick, kam besser an beim Parteivolk als der schottische Pfarrerssohn. Wenn schon Modernisierung, dann mit menschlichem Antlitz. Blair, nicht Brown, wurde Spitzenkandidat und gewann 1997 die Wahl. Jetzt tritt er mit 54 Jahren ab und bereitet sich auf neue Aufgaben vor - als Vermittler im Nahen Osten, als Stiftungsgründer, als Redner. Und Brown tritt mit 56 Jahren an. Es ist nicht leicht, der Nachfolger eines perfekten Performers zu sein. Doch auch darin liegt eine Chance für Gordon Brown.

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