Bürgermeister tritt aus Angst vor der NPD zurück

Tröglitz · Der kleine Ort Tröglitz im Süden Sachsen-Anhalts wird quasi über Nacht bekannt. Der Grund: Sein ehrenamtlicher Bürgermeister tritt zurück. Er sieht sich als persönliche Zielscheibe einer Nazi-Demonstration gegenüber - und fühlt sich nicht genügend geschützt von Polizei und Politik.

An den blank geputzten Fenstern des frisch sanierten Hauses hängen "Zu-vermieten"-Schilder. Das gelbe Gebäude an einer Hauptstraße steht leer. Der bisherige Ortsbürgermeister von Tröglitz, Markus Nierth, wollte das ändern. 40 Flüchtlinge sollten hier Unterschlupf finden - zum Unmut zahlreicher Rechtsextremisten in der Umgebung. Der 46-Jährige ist nun nicht mehr Bürgermeister. Als die Nazis ankündigten, vor sein Haus zu ziehen, offiziell als Demonstranten angemeldet, trat er zurück - zum Schutz seiner Familie.

Gerüchte um den Zuzug waberten schon länger durch den knapp 3000 Einwohner zählenden Ort, wie Anwohner am Montag berichten. Viele sind verunsichert. Kein Verantwortlicher rede Tacheles, heißt es.

Die rechtsextreme NPD nutzte die Unsicherheit der Tröglitzer, organisierte Demos, Mini-Pegida-Spaziergänge. 150 Teilnehmer seien es anfangs gewesen, zuletzt nur noch 60, schätzt Nierth. Die nächste Anti-Flüchtlings-Demo sollte direkt an seinem Wohnhaus vorbeiführen. Der parteilose Politiker zog die Reißleine, er beklagt mangelnden Schutz.

Am Montag steht er vor der Kirche des Ortes, umringt von Fachwerkhäusern und Fernsehkameras, und erklärt sich. Er habe diese Entscheidung nicht aus Angst vor den Rechtsextremen getroffen. Er sei zurückgetreten, weil der Landkreis die Demoroute direkt an seinem Haus vorbei nicht verhindert habe. "Meine Frau und ich wurden persönlich zur Zielscheibe", sagt der 46-Jährige mit den grau-melierten Haaren und dem Dreitagebart. Es vermisse rechtlichen Schutz und Rückhalt. "Die Parteien haben sich bisher zurückgehalten, genauso die schweigende Mitte."

Nierths Schritt sorgte zunächst nur lokal für Wirbel und hat die Landesebene sowie die überregionalen Medien erst mit rund zwei Tagen Verzögerung erreicht. Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) war am Sonntagabend zu einem Friedensgebet nach Tröglitz gefahren, auch um mit dem Zurückgetretenen zu sprechen.

"Das Signal ist fatal - da muss man politisch konsequent gegensteuern", sagt Stahlknecht nun. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass Demonstranten Entscheidungsträger zum Rücktritt bewegen könnten.

Der Pfarrer der Gemeinde, Matthias Keilholz, kritisiert die Zurückhaltung des Landkreises. "Ich verstehe, dass sie erst über Unterbringungen informieren wollen, wenn die Pläne auch beschlossen sind", sagt er. "Aber diese Strategie leistet Gerüchten Vorschub." Da würden Horrorszenarien ausgemalt, statt es positiv anzupacken. "Hier ging es schief, weil die NPD das Thema am schnellsten besetzt hat."

Die Verunsicherung, die Keilholz allgemein beschreibt, ist einer Tröglitzerin anzusehen. Fahrig fasst sie sich mit den Händen an den Hals und in die blonden kurzen Haare, ringt nach Worten. Die 59-Jährige ist besorgt. Sie habe Gerüchte gehört, sagt sie. Ihren Namen möchte sie nicht nennen. "Es heißt, da sollen 40 bis 50 Männer kommen. Nur Männer", sagt sie. "Das wollen wir nicht." Sie seien nur zu dritt in ihrem Haus, ihre Nachbarin lebe allein. "Die hat Angst."

Es fehle an klaren Informationen, wer da nun in das gelbe Haus ziehe. Familien aus Kriegsgebieten wären okay, sagt die 59-Jährige. "Aber nur Männer - das muss doch Ärger geben." Die Demos sieht die Tröglitzerin skeptisch. Da werde auch nur gemeckert und nichts gelöst. "Außerdem haben die falschen Leute dazu aufgerufen. Die NPD will ich hier erst recht nicht haben."

Auch der zurückgetretene Ortsteilbürgermeister Nierth sagt, sein Tröglitz sei kein braunes Nest. Er wünsche sich, dass die Politik reagiert, und seinen Nachfolger und alle anderen Bürgermeister im Land besser schützt. Dafür will Innenminister Stahlknecht nun mit einem Erlass sorgen, der Behörden erlaubt, Demonstrationen vor den Wohnhäusern ehrenamtlicher Politiker zu untersagen.

Am Montagabend sollte in einer Kreistagssitzung zudem die anstehende Entscheidung fallen, ob die Flüchtlinge nach Tröglitz kommen. "Ich hoffe, dass die Tröglitzer jetzt nicht resignieren und in Schockstarre verfallen, sondern sich einmischen", sagt der zurückgetretene Bürgermeister. "Mir tut es weh um meinen Ort."

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