Bund und Länder wollen schnellen Atomausstieg

Die Botschaft von Kanzlerin Angela Merkel lautet: Bund und Länder wollen den Atomausstieg. Doch es hakt beim "Wie". Die Regierung muss nun ein verantwortbares Konzept vorlegen.

Berlin. Im Morgengrauen lassen die Greenpeace-Aktivisten die Fassade des Kanzleramts in neuem Licht erstrahlen. "Deutschland ist Erneuerbar" projizieren sie an die Wand der Regierungszentrale. Auch Kanzlerin Angela Merkel erneuert sich gerade. "Wir alle wollen schnellstmöglich aus der Kernenergie aussteigen", sagt die CDU-Chefin.

Doch wie sie das schwarz-gelbe Projekt Atomausstieg ohne Verwerfungen für Industrie und Preise bewerkstelligen will, bleibt am Freitag nach dem Treffen mit den Ministerpräsidenten im Dunkeln.

Der kleinste gemeinsame Nenner: Bund und Länder haben sich auf einen Fahrplan geeinigt. Bereits am 17. Juni soll der Bundesrat, der bei der Laufzeitverlängerung nicht mitbestimmen durfte, den Weg frei machen für ein Ende der Atomkraft. Dieses dürfte wohl rund um das Jahr 2020 liegen.

Bis dahin wird es für Union und FDP noch ein schwerer Weg. "Wir versprechen uns große Entwicklungschancen", sagt Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) mit Blick auf eine dezentrale Energieversorgung und neue Solar- und Windparks in bisher eher strukturschwachen Regionen.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) wiederholt fast mantrahaft, man könne noch keine konkreten Daten nennen. Eine wichtige Rolle wird nun auch Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) spielen, der wegen Euro-Krise und Schuldenbremse seine Taschen zugeknöpft hat. Aber das Geld ist das eine, über den Kopf von Bürgern und Länder hinweg lässt sich keine Energiewende verordnen.

Wie soll das Problem gelöst werden, dass Stromnetzprojekte bisher oft an Ländergrenzen wegen unterschiedlicher Planungs- und Genehmigungsverfahren haltmachen? Der CDU-Wirtschaftsrat fordert bereits, dem Bund hier Rechte zu übertragen, damit auch der Windstrom bald von der Küste abtransportiert werden kann. Wie sollen zudem die Bürger für mehr Windräder begeistert werden? Wer soll in flexible, aber teure Gaskraftwerke investieren, wenn diese nur laufen sollen, wenn gerade kein Wind weht oder der Himmel bewölkt ist?

Industrie protestiert



Die Kosten lassen sich noch nicht seriös abschätzen. Es hängt davon ab, wie viele der acht stillstehenden Atomkraftwerke im Juni dauerhaft vom Netz müssen und ob tatsächlich allein 3600 Kilometer an neuen Stromautobahnen notwendig sind.

Die Energiekonzerne und die Industrie warnen Merkel angesichts der Unwägbarkeiten vor Aktionismus und sehen schon den Industriestandort Deutschland gefährdet, während die Opposition und das Volk rasche Ergebnisse verlangen. Doch das Sechs-Punkte-Programm für die Energiewende ist vage. Und das nun noch einmal angekündigte Fünf-Milliarden-Programm zum Ausbau der Windparks in Nord- und Ostsee war auch schon im Herbst 2010 als Sofortprogramm verkauft worden.

Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) wehrt sich mit Kräften gegen die immer hysterischere Preisdebatte, die alles zu überlagern droht. Er verweist auf das Gutachten des Energiewirtschaftlichen Instituts der Universität Köln. Das hatte im Herbst ermittelt, ohne Laufzeitverlängerung würde sich der Strompreis in den nächsten Jahren nur um 0,1 bis 0,9 Cent pro Kilowattstunde erhöhen.

Aber er gerät nach der Runde im Kanzleramt in Erklärungsnot bei der Frage, wo denn neues Geld herkommen soll, um die Wende zu bezahlen. Außer der vagen Ankündigung von mehr Geld für die Gebäudesanierung kann er wenig Konkretes liefern. Und Merkel deutet an, dass der Ausbau von Sonnen- und Windenergie vor allem über den Strompreis zu zahlen ist, also der Verbraucher den Atomausstieg mitzubezahlen hat.

HINTERGRUND STROMKONZEPT FüR RHEINLAND-PFALZ



Gegenwind für Rot-Gün im Land: Der rheinland-pfälzische Unternehmerverband begleitet die rot-grünen Koalitionsverhandlungen mit heftigem Gegenwind. Hintergrund: Die künftige Landesregierung will den Strombedarf bis 2030 zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien decken. Diese Pläne sind nach Überzeugung der Landesvereinigung der Unternehmerverbände Rheinland-Pfalz (LV) unrealistisch. "Einen Konzern wie BASF mit Wind und Sonne zu betreiben, halte ich für abenteuerlich", sagte LVU-Hauptgeschäftsführer Werner Simon. Die Zielvorgabe "2030" bezeichnete der Jurist als "ein völlig aus der Luft gegriffenes Datum". Die LVU sieht den Wirtschaftsstandort Rheinland-Pfalz gefährdet. 2009 ist laut LVU die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien um 0,4 Prozent gesunken, obwohl es 14 Prozent mehr Windkraftanlagen als im Vorjahr gab. Die Ursache laut Statistischem Landesamt: "ungünstige meteorologische und hydrologische Bedingungen". Der Wind blies nicht ausreichend und die Flüsse führten zu wenig Wasser. Zudem fürchten die Firmen höhe Strompreise. DB

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