"Burnout ist keine Lüge, sondern Realität"

Trier · Lange Wartezeiten auf eine Behandlung bei Psychotherapeuten, trotzdem soll die Zahl der Praxen reduziert werden. Der Grund: Der Versorgungsgrad mit Psychotherapeuten beruht auf zwölf Jahre alten Zahlen.

Trier. Es ist nur schwer begreiflich: Im Eifelkreis Bitburg-Prüm gibt es über 50 Prozent weniger Psychotherapeuten als im Bundesdurchschnitt. Trotzdem gilt die Eifel als überversorgt. In der Bedarfsplanung ist ein Versorgungsgrad von 317 Prozent für den Kreis genannt. In Bernkastel-Wittlich beträgt die Überversorgung sogar 344 Prozent, in Trier und Trier-Saarburg 225 und in der Vulkaneifel 223 Prozent. Diese rechnerische Überversorgung soll mit dem kürzlich vom Bundestag verabschiedeten Versorgungsstrukturgesetz abgebaut werden.
Wie aber kommt diese rechnerische Überversorgung, also die Diskrepanz zwischen tatsächlicher und der von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) vorgegebenen Versorgung zustande? Alle 1999 in einem Planungsbezirk zugelassenen Psychotherapeuten seien als 100 Prozent gesetzt worden, erklärt Gisela Borgmann-Schäfer, Sprecherin der Landespsychotherapeutenkammer. Jeder seitdem zusätzlich hinzugekommene Psychotherapeut führe zur Überversorgung. Zumindest auf dem Papier. Um diese abzubauen, sollen ab 2013 in solchen überversorgten Planungsbereichen frei werdende Praxen etwa von in Rente gehenden Psychotherapeuten nicht mehr besetzt werden. Auch soll die KV einem Praxisinhaber eine Entschädigung für den freiwilligen Verzicht auf die Zulassung anbieten. Laut Borgmann-Schäfer würde es dann 20 Prozent weniger Psychotherapeuten in Rheinland-Pfalz als heute geben.
Auf Anfrage unserer Zeitung bestätigt die KV Rheinland-Pfalz, dass es einen Auftrag gebe, die Bedarfsplanung im Laufe des kommenden Jahres zu überarbeiten. Zunächst ändere sich an der Planung aber nichts.
Mit anderen Worten: Zusätzliche Psychotherapeuten werden wohl nicht zugelassen. Und das bei steigendem Bedarf, wie Borgmann-Schäfer feststellt. Denn aufgrund der immer älter werdenden Bevölkerung wachse die Zahl der Patienten. Psychische Erkrankungen seien nämlich nicht nur ein Problem der jüngeren Menschen, auch Ältere müssten zunehmend behandelt werden. Auch Singles und Alleinerziehende, die mit ihrer Situation überfordert seien, bräuchten die Hilfe von Psychotherapeuten. Ein Gros der Behandlungen mache immer noch die Heilung von Depressionen aus. Nicht selten entstanden aus beruflichem Druck. Borgmann-Schäfer wehrt sich dagegen, jeden der wegen sogenanntem Burnouts (Ausgebranntsein) Krankgeschriebene als Simulant abzustempeln. Sicherlich werde der Begriff, der nur für eine Reihe von Symptomen steht, etwas inflationär benutzt. Auch sei er etwas schwammig. Zumeist seien aber die Patienten, bei denen so etwas wie Burnout diagnostiziert werde, wirklich ernsthaft krank. "Es gibt keine leichte Depression", sagt Borgmann-Schäfer und verteidigt damit die durch berufliche Belastung psychisch Erkrankten gegen die zunehmende Kritik, sie würden nur vorgeben krank zu sein. Burnout sei keine Lüge, sondern in den meisten Fällen bittere Realität.
Als Grund für die zunehmenden Depressionen sieht sie den Wandel in der Arbeitswelt. Von Beschäftigten würden heute zunehmende Flexibilität, permanente Bereitschaft zur Aktivität und ständige Mobilität gefordert. Es werde erwartet, den eigenen Lebensrhythmus den Anforderungen im Job unterzuordnen. "Der dauernde Zwang zu funktionieren, fordert seinen Tribut", sagt die Psychotherapeutin aus dem rheinhessischen Bodenheim. Permanenter Stress erhöhe das Erkrankungsrisiko.
Daher fordert sie, im Rahmen des Arbeitsschutzes nicht nur Rückenschmerzen im Blick zu haben, auch die Reduzierung psychischer Belastungen müsse ein Schwerpunkt des betrieblichen Gesundheitsschutzes werden.
Wegen des Mangels an Psychotherapeuten verlängere sich die Arbeitsunfähigkeit der Betroffenen. Sie finden kurzfristig keinen Behandlungsplatz, und aufgrund ihrer Erkrankung sind sie auch häufig nicht in der Lage, wochenlang nach einem Psychotherapeuten zu suchen. Die Folge: Die Arbeitsunfähigkeit verlängert sich. Im Schnitt bis zu 26 Patienten pro Woche behandele ein Psychotherapeut, sagt Borgmann-Schäfer. Die Vorgabe der KV sei 36 Sitzungen von jeweils 50 Minuten pro Woche. Nicht nur, dass dann kaum Zeit bleibe, sich ausreichend auf die Patienten vorzubereiten und die Gespräche auszuwerten: "Wenn ich mich daran hielte, würde ich schon bald selbst an Burnout leiden", sagt die Therapeutin.Extra

Die Kosten für die Ausbildung zu psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichen Psychotherapeuten schwanken zwischen 12 000 und 90 000 Euro. Das ergab eine Studie im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums. Alle Ausbildungskandidaten müssen ein Jahr in einer psychiatrischen Klinik arbeiten und ein halbes Jahr in einer psychosomatischen Klinik. Laut Gutachten erhalten die zukünftigen Psychotherapeuten während dieser Ausbildung im Schnitt 686 Euro. Die Ausbildung beginnt nach einem abgeschlossenen Pscychologie-Studium und dauert zwischen drei und fünf Jahre. Sie endet mit einer staatlichen Prüfung. wie

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