Bushs Optionen

Der jetzt im Irak durch eine Autobombe getötete UN-Gesandte Sergio Vieira de Mello sah für sich keine Gefahr. Noch am letzten Wochenende hatte er einer Zeitung anvertraut, die Iraker würden die Uno als unabhängige Organisation ansehen und als Freund - ganz anders, als sie die Besatzer betrachteten.

Seit Dienstag wissen wir, dass dies eine tödliche Fehleinschätzung war. Denn die Entschlossenheit von Terroristen, religiösen Fanatikern oder unbelehrbaren Saddam-Anhängern, im Irak für Fucht, Schrecken und Chaos zu sorgen, kennt keine Grenzen und auch nicht Unterschiede zwischen Freund oder Feind. Vor allem deshalb nicht, weil die Attentäter genau wissen, dass für alles, was im Land derzeit geschieht, die Weltöffentlichkeit die USA verantwortlich machen wird. Da wird am Ende keine Rolle spielen, dass die UN-Delegation schärfere Sicherheitsmaßnahmen für ihr Hauptquartier ausdrücklich ablehnte. In der Bilanz jener Fakten, die für ein Versagen der Bush-Regierung bei der Stabilisierung des Landes stehen, werden derartige Details nur eine Fußnote sein. Die Eskalation der Guerilla- Attacken, Terroranschläge und Sabotage-Akte wird US-Präsident Bush zu einer Neubewertung der Lage zwingen und zu Entscheidungen, die auch für Europa relevant sein dürften. Einen schnellen Rückzug der eigenen Truppen kann er sich nicht leisten, es würde von den Feinden Amerikas als schmähliche Niederlage interpretiert werden. Zudem ist der Präsident durch die eigene Rhetorik, solange zu bleiben, bis Recht und Ordnung herrschen, festgelegt. Nun lauten die Optionen: Die US-Präsenz massiv verstärken - oder auf die Uno zurückgreifen. Beide Möglichkeiten behagen Washington im Prinzip gar nicht, doch angesichts der nun nur noch ein Jahr entfernten heißen Phase des Präsidentschafts-Wahlkampfs wird es im ureigensten Interesse des Texaners sein, Wege aus dem Chaos und der unbeherrschbaren Sicherheitslage zu finden, die große Fortschritte beim Wiederaufbau derzeit zu einer Illusion werden lassen. Angesichts der weiter erforderlichen Afghanistan-Präsenz und der Stimmung in der Heimat verbietet sich für Bush jedoch eine Erhöhung der Truppenzahl. Die UN-Option, verbunden mit einem neuen Mandat des Sicherheitsrates, deutet sich deshalb als Königsweg an. Will Bush eine breite Beteiligung anderer Nationen, müssen er und einige noch widerstrebende "Falken" diesen Weg gehen - zumal er nur so auch die Hilfe arabischer Staaten gewinnen wird, deren Soldaten im Irak eher als Ordnungshüter akzeptiert werden dürften als die amerikanischen oder britischen Befreier. Für erklärte Kriegsgegner wie Frankreich oder Deutschland rückt deshalb die Stunde der Wahrheit immer näher: Die Frage, ob sie auch bei einer UN-Entschließung weiter militärische Hilfestellungen verweigern, steht schon heute deutlich am Horizont. nachrichten.red@volksfreund.de

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