Ceta, Russland, Migration: Heiße Eisen beim EU-Gipfel

Brüssel · Es ist der erste EU-Gipfel für Theresa May, und sie hat nach dem Brexit-Schock aufmunternde Worte im Gepäck. Doch andere Themen haben zunächst Vorrang beim Brüsseler Spitzentreffen.

Wichtige Grundsatzdebatten wollten Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Kollegen beim EU-Herbstgipfel führen. Vier Monate nach dem Brexit-Schock haben die 28 Mitgliedstaaten einiges miteinander zu klären. Doch holte am Donnerstag die Weltpolitik die Staats- und Regierungschefs in Brüssel ein.

Die EU und Russland: Auf Wunsch Italiens wollten die Staats- und Regierungschefs ganz grundsätzlich bereden, wie es in dem nach der Ukraine-Krise stark abgekühlten Verhältnis mit Moskau weitergeht. Ursprünglich ging es Regierungschef Matteo Renzi eher um Annäherung: Kann es Anknüpfungspunkte geben mit einem Land, dem die EU Völkerrechtsbruch und Desinformationskampagnen vorwirft? Doch am Donnerstag nahm die Debatte eine andere Richtung: Soll man wegen des verheerenden Kriegs in Syrien weitere Strafmaßnahmen gegen Moskau androhen? Bundeskanzlerin Angela Merkel vertrat nach ihren Gesprächen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin eine harte Linie. Was in Aleppo passiere, sein einfach unmenschlich, sagte sie in Brüssel. Zumindest die Option neuer Sanktionen müsse man sich offenhalten, meinte auch EU-Ratspräsident Donald Tusk. Konsens ist das aber nicht. Ungarn zum Beispiel meldete Widerspruch an. Entscheidungen waren von Anfang an nicht geplant.

Ceta und der Freihandel: Das lange umstrittene Freihandelsabkommen mit Kanada schien schon fast unter Dach und Fach - die Bedenken aus Deutschland und anderer Staaten sind so weit ausgeräumt, dass sie Ceta nächste Woche unterzeichnen könnten. Doch auch am Donnerstag stellte sich die belgische Region Wallonie quer. Anders als die belgische Föderalregierung will sie Ceta nicht und blockiert den Handelspakt. Am Rande des Brüsseler Treffens suchten Unterhändler verzweifelt eine Kompromisslinie. Im besten Fall könnten die Staats- und Regierungschefs einen Durchbruch verkünden. Auf der Agenda hatten sie zudem eine Debatte über Instrumente zum Schutz vor unfairen Handelspraktiken, Stichwort Import von subventioniertem Billigstahl aus China. Denn, so lautet nun das Mantra in Brüssel: Wer sich für Freihandel einsetzt, muss auch für faire Regeln kämpfen.

Flüchtlingskrise: Das Wort Krise meiden EU-Diplomaten beim Thema Migration inzwischen. Immerhin sei die Zahl der Flüchtlinge und Migranten über das östliche Mittelmeer und die sogenannte Balkanroute im Vergleich zum vergangenen Jahr um 98 Prozent zurückgegangen, heißt es. Dennoch wälzten die Staats- und Regierungschefs das Dossier ausführlich. Sie bekannte sich zur besseren Sicherung der Außengrenzen und zum Aufbau der Anfang Oktober gestarteten Europäischen Grenz- und Küstenwache. Ziel der EU ist es zudem, die Zahl der aus Nordafrika übersetzenden Bootsflüchtlinge zu senken. Dafür will die EU mit Herkunfts- und Transitländern zusammenarbeiten, konkret den afrikanischen Staaten Niger, Nigeria, Mali, Senegal und Äthiopien. EU will mehr Menschen in die Heimat zurückzuschicken, die hier kein Bleiberecht bekommen.

Brexit und die Zukunft der 27: Premierministerin Theresa May, die nach dem Votum der britischen Wähler für den EU-Austritt ins Amt kam, ist zum ersten Mal im Kreis der 28 - und das unter nun sehr ungewöhnlichen Vorzeichen rund ein halbes Jahr vor dem erwarteten Antrag auf den Brexit. Sie versicherte schon zum Auftakt, dass Großbritannien auch künftig ein „starker und verlässlicher Partner“ sein wolle. Damit ist das Thema aber bei weitem noch nicht durch. Weder wissen die EU-Kollegen genau, wie das künftige Verhältnis zum Vereinigten Königreich aussehen soll, noch ist es ihnen bisher gelungen, eine Vision für die Rest-Gemeinschaft zu entwickeln. Vor einem Monat in Bratislava gaben es zumindest eine „Roadmap“ dafür. Bis zum 60. Jubiläum der Römischen Verträge im März soll es damit vorangehen.

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