Chance für Deutschland

An markigen Worten mangelte es nicht: "Eine große Koalition wird es nicht geben" (Angela Merkel); "Das steht gar nicht in Rede" (Gerhard Schröder). Schwarz und Rot schlossen eine Elefanten-Hochzeit aus – vor der Wahl.

An markigen Worten mangelte es nicht: "Eine große Koalition wird es nicht geben" (Angela Merkel); "Das steht gar nicht in Rede" (Gerhard Schröder). Schwarz und Rot schlossen eine Elefanten-Hochzeit aus - vor der Wahl. Nach der Wahl mussten sie sich korrigieren, denn die Überprüfung der demoskopischen Vorhersagen endete mit einer Überraschung. Das Volk sah sich mit zwei Übeln konfrontiert, und es wählte keines von beiden. Ein Schock für die Protagonisten in der politischen Arena. Sie brauchten Zeit, um das rätselhafte Resultat zu deuten und sich von den emotionalen Hitzewallungen des Wahlkampfs zu befreien.Inzwischen macht sich neue Sachlichkeit breit: Über den großen Graben, der die beiden Elefanten trennte, führen feste Brücken. Und nach Spekulationen und Sondierungen, nach Geschacher und Gezerre um Inhalte und Posten ist so gut wie sicher: Deutschland wird demnächst von einer großen Koalition regiert. An der Spitze: Angela Merkel, die das Amt teuer erkauft hat.

Die Union stellt die Kanzlerin, sechs Minister und den Kanzleramts-Chef, die SPD acht Minister, zum Teil in Schlüssel-Ressorts. Bei Lichte besehen ist die große Koalition eine CDU-geführte SPD-Regierung. Ein Coup des scheidenden Kanzlers. Gerhard Schröder hat die Wahl verloren, tritt aber als Gewinner ab. Er beschert den Sozialdemokraten eine starke Position im Kabinett, er wird die Union in den Koalitionsverhandlungen weiter piesacken. Auch Angela Merkel hat die Wahl verloren; sie wird nun an ihrem Wahlversprechen gemessen. Dem Versprechen, Deutschland aus der Krise zu führen.

Welche Perspektiven hat die große Koalition? Fatal wäre, wenn die beiden Elefanten sich gegenseitig blockierten. Stillstand. Bleierne Zeit. Statt Reformen allenfalls Reförmchen, weil im Mahlstrom der Parteien jeder große Wurf auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zurechtgeschmirgelt würde - baldige Scheidung und Neuwahlen absehbar.

Die bessere Alternative: Schwarz und Rot packen das scheinbar Unmögliche an und loten das Mögliche aus. Das bedeutet: loslassen. Aufgeben von Grundsätzen. Abschied vom Bedenkenträgertum. Das erfordert: viel Mut, Parteiengezänk zu überwinden und nicht ständig im Zeichen von Machterhalt oder Machtstreben zu agieren. Das Ziel: die Rettung des Sanierungsfalls Deutschland, ein Gegenprogramm zur aktuellen Sinnkrise, ein Kontrapunkt zum Stakkato an schlechten Nachrichten - und eine Offensive gegen Rekordverschuldung, Pleiten, Staatsbankrott, Steuerchaos, Arbeitsmarktkrise, wuchernde Bürokratie, Subventionsirrsinn, kränkelnde Marktwirtschaft.

Die große Koalition gilt als Notlösung. Und genau darum geht es: eine Notsituation zu lösen. Große Koalition muss nicht Stillstand bedeuten, sie kann - wie das historische Vorbild von 1966 bis 1969 zeigt - große Veränderungen bewirken.

Die Hellsichtigen in den Parteien haben das erkannt. Das Lagerdenken, in Jahrzehnten betoniert, bröselt. Die Mehrheitsbeschaffung nach der Bündnis-Variante "Groß plus Klein" ist schwieriger, wenn nicht unmöglich geworden. Das Links-Rechts-Schema greift nicht mehr. Neue, kreative Lösungen und Kombinationen müssen her. Im "Weiter so", im Verharren, liegt keine Sicherheit. Die Welt ändert sich, täglich. Dies zu erkennen und zu beherzigen, ist die Chance der großen Koalition.

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