Chancen, Risiken und Nebenwirkungen

Trier · Deutschland am Vorabend der größten Rezession seit dem Weltkrieg? Oder eine Herausforderung, die sich mit etwas Geschick in den nächsten Monaten meistern lässt? Sechs regionale Schlaglichter auf die globale Krise.

 Sich von den schlechten Nachrichten verunsichern lassen oder die Krise als Chance sehen: Auf den Blickwinkel kommt es an. Foto: iStock

Sich von den schlechten Nachrichten verunsichern lassen oder die Krise als Chance sehen: Auf den Blickwinkel kommt es an. Foto: iStock

"Die unten trifft es als Erste". Bei Uli Müller sind die Krisen-Symptome längst angekommen. Der Leiter eines Caritas-Sozialzentrums im sozialen Brennpunkt Trier-West merkt es daran, dass es immer schwieriger wird, einen Job-Einstieg für seine jugendlichen Schützlinge zu finden. Die Eltern rutschen häufiger in Hartz IV ab, die Kinder kommen erst gar nicht in einen Beruf. Perspektivlosigkeit, Ängste - selbst Kinder sind davor nicht gefeit. Konsequenz: "Die Leute werden anfälliger für populistische Parolen", sagt Müller, egal, ob von links oder rechts. Da müsse man "aufpassen, dass das nicht aus dem Ruder läuft".

Populistische Parolen sieht der Trierer Philosophie-Professor Hardy Bouillon auch ganz woanders. Die Thesen des Wirtschafts-Ethikers sind in Krisenzeiten von Wien über Turin bis Tokio gefragt - gerade, weil sie manchmal provokativ sind. Zum Beispiel, wenn er die Kritik an angeblich gierigen Managern und Bankern geißelt. Die Krise sei nicht Resultat individuellen Fehlverhaltens, sondern einer falsch gesteuerten Geldpolitik schlecht beratener Politiker. Zudem sei es "heuchlerisch, die da oben zu beschimpfen", angesichts der Tatsache, "dass doch auch die Kunden mitgemacht haben, angesichts der verlockenden Rendite". Wo hoch gepokert wird, sagt Bouillon, "kommt irgendwann die Rechnung". Appelle an die Moral brächten da wenig, und das Schlachten von Sündenböcken führe nicht aus der Krise. Sein hartes Fazit: "Der Markt muss sich bereinigen, auch wenn es wehtut". Darin stecke auch eine Chance.

Von Chancen redet Hiltrud Zock viel lieber als von Gefahren. Gerade in schwierigeren Zeiten. Als Chefin einer Werbe-Agentur kann sie auch gar nicht anders. Was die Umsätze angeht, ist die Krise in ihrem Trierer "Agenturhaus" noch nicht angekommen. Wohl aber, was die Verunsicherung der Kunden betrifft. "Der Druck ist da", diagnostiziert Zock, und vereinzelt spüre man auch "schon mal etwas Panik". In solchen Fällen empfiehlt sie "Treue zum Kunden und zur Qualität des Produkts" anstelle von hektischem Aktionismus. Wer über eine "gute Markenkommunikation" verfüge, behalte die Nase vorn. Auf Dauer sieht die Marketing-Expertin gerade für Mittelständler sogar die Chance, durch die Finanzmarkt- und Börsenkrise ihr Image zu verbessern. "Der ehrbare Kaufmann", glaubt sie, "wird ein Comeback erleben".

Wenn der alte Satz "Not lehrt beten" stimmt, dann müsste die Krise auch den unter Mitgliederschwund leidenden Kirchen ein Comeback bescheren. Noch sei "kein signifikant größerer Ansturm zu bemerken", sagt der Mediendirektor des Bistums Trier, Stephan Wahl. Aber das könne sich "bald in diese Richtung entwickeln". Einstweilen wundert sich der Fernseh-Pfarrer ("Wort zum Sonntag") über die "bemerkenswerte Gelassenheit" vieler Menschen. Seine Vermutung: "Die Leute machen teilweise die Augen zu." Auf der anderen Seite registriert Wahl, dass mit der neuen Kritik an einem ungebremsten Kapitalismus kirchliche Positionen wieder mehr gefragt sind. Fragen der Moral, auf die die Kirche Antworten gebe, seien "in den letzten Jahren auf wenig Interesse gestoßen". Jetzt werde das "moralische Haltegeländer", das die Kirche biete, wieder stärker gewichtet.

Es gibt auch überraschende Erkenntnisse in der Krise. Sie trage dazu bei, "dass die Leute ihre Arbeit mehr wertschätzen", sagt der Trierer Kommunikationstrainer Ralf Burkhardt. In seinem Haupt-Betätigungsfeld, der Personalentwicklung im Sozial- und Gesundheitswesen, wird die Rezession ansonsten eher gelassen betrachtet. Das hänge damit zusammen, vermutet Burkhardt, "dass die schon seit Jahren gewohnt sind, mit immer weniger Ressourcen zurechtzukommen". Der massive Einspardruck, die schlechte Stimmung und die ungewissen Zukunftsaussichten, denen andere Branchen nun ausgesetzt seien, gehörten im Sozial- und Gesundheitswesen längst zum Alltag.

Die Frage, wann sich schlechte Stimmung und negative Prognosen auch auf die reale Wirtschaft auswirken, beschäftigt den Soziologen Professor Michael Jäckel von der Uni Trier. Seine Erkenntnis: "Rückläufige Erwartungen schlagen irgendwann auch durch". Durch Maßnahmen wie die Abwrack-Prämie sei diese Entwicklung "aufzuschieben, aber nicht aufzuhalten". Zwar seien ähnliche Initiativen für weitere Einzelprodukte wie Kühlschränke und Waschmaschinen denkbar, "aber irgendwann ist das aufgebraucht". Dennoch werde die Gesellschaft versuchen, den Status quo so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. Die Bereitschaft zu grundsätzlichen Veränderungen werde erst entstehen, "wenn ernsthaft Besitzstände bedroht sind". Was dann passiert, weiß auch Professor Jäckel nicht: "Wie reagiert wird, wenn wirklich mal der Hahn zugedreht wird, ist kaum zu prognostizieren".

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