Chaos, Schreie und Menschen in Todesangst

Trier · Eineinhalb Stunden lang soll die Crew des gekenterten Kreuzfahrtschiffs Costa Concordia die Passagiere hingehalten haben, bis sie endlich in die Rettungsboote durften. Zwei Mitreisende aus Trier berichten von chaotischen Zuständen und ihrer Odyssee zurück nach Deutschland.

Trier. Freitagabend, gegen 21.45 Uhr auf der Costa Concordia. Der 19-jährige Martin Charles aus Trier-Nord und sein 21-jähriger Freund René Peters aus Trier sitzen gerade beim Abendessen in einem der Bordrestaurants. "Plötzlich hat es gekracht und geruckelt, Gläser sind umgefallen", beschreibt Charles den Moment, in dem das Schiff auf Grund gelaufen sein muss. Doch das und die Folgen kann zu diesem Zeitpunkt noch kaum jemand abschätzen.
Erst nach und nach wächst aus der Ungewissheit bei immer mehr Passagieren Angst und schließlich Panik. Charles und Peters laufen von Deck fünf zu Deck sieben und öffnen ihre Kabine. In diesem Moment fällt der Strom aus - es herrscht totale Finsternis an Bord. Die beiden Freunde können sich nur noch schnell ihre Rettungswesten und zwei Westen zum Überziehen greifen. René Peters ertastet sein Handy. Bargeld, Personalausweise, Führerscheine und alles andere müssen sie zurücklassen. "In den engen Gängen sind viele Leute gefallen und haben sich verletzt. Wir haben versucht, andere zu warnen und ihnen zu helfen, so gut es ging", sagt Peters. "Vom Schiffspersonal und bei den Durchsagen hieß es immer nur, wir könnten ruhig in den Kabinen bleiben. Das sei nur ein technischer Schaden." Alarm wird zunächst nicht ausgelöst.Es geht drunter und drüber


Tatsächlich hat ein Felsen die Schiffshülle aufgerissen, Wassermassen dringen ein. Der Ozeanriese bekommt Schlagseite. Die Trierer warten auf der Seite, die sich nach oben dreht. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit kommt schließlich das Signal, die Rettungsboote zu besteigen. Chaos bricht aus. "Überall Gedränge, Geschubse, Geschrei. Es ging drunter und drüber", erinnert sich Charles. "Manche Menschen haben sich um Rettungswesten fast geschlagen. Es waren auch viele junge Familien mit Kindern an Bord."
In das Rettungsboot mit den beiden Trierern drängen in Todesangst immer mehr Menschen nach. 20 Meter tief muss es in Richtung Wasseroberfläche abgelassen werden, bleibt dabei mehrfach hängen und gerät in Schieflage. Andere Boote lösen sich erst gar nicht von Deck und fallen deshalb für die Rettung aus. Auch diese Szenen erinnern fatal an den Untergang der angeblich unsinkbaren Titanic vor 100 Jahren.
Ein Mitglied der Besatzung steuert das Boot in einen kleinen Hafen auf der Insel Giglio. Helfer verteilen die Passagiere auf mehrere Gebäude. Charles macht sich Sorgen: "Wir haben nach unseren Tischnachbarn vom Schiffsrestaurant gesucht. Inzwischen wissen wir, dass es allen gut geht."
Mit einer Fähre werden die Passagiere zum Festland gebracht. Dort müssen sie mitten in der Nacht stundenlang in der Kälte ausharren. Es folgt eine dreistündige Busfahrt nach Savona. Dort gibt es zum ersten Mal etwas zu essen: ein Brötchen für jeden. Zweieinhalb Stunden dauert die Busfahrt nach Mailand zum Flughafen. Dank einer Umbuchung heben die Trierer mit der Lufthansa-Maschine um 18.45 Uhr in Richtung Frankfurt ab. Ein Freund aus Trier bringt das Duo schließlich nach Hause: Eine 30-stündige Odyssee geht zu Ende. Martin Charles\' Vater Kunibert (57) und Bruder Tim (17) sind erleichtert: "Wir haben uns viele Gedanken gemacht."
"Es hätte noch viel schlimmer ausgehen können. Wir hatten Glück, dass wir relativ früh von Bord kamen", sagt Martin, der sich über den sehr frühen Abgang des Kapitäns vom sinkenden Schiff ärgert. Der 52-Jährige ist längst in Sicherheit, als Passagiere und Crew noch um ihr Leben bangen und manche aus schierer Verzweiflung ins eisige Wasser springen.

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