"Chatzi" liebt alle

TRIER. Sein Name klingt exotisch - und verspricht nicht zu viel: Jorgo Chatzimarkakis, der als neuer Europa-Abgeordneter der FDP auch Trier und Umgebung vertritt, ist eine der schillerndsten Persönlichkeiten auf der politischen Bühne unserer Region.

Er ist Europa-Abgeordneter für Rheinland-Pfalz, das Saarland, Bayern, Duisburg, Luxemburg sowie einen Bezirk der griechischen Insel Kreta - und identifiziert sich mit jedem dieser Menschenschläge. Da braucht man eine starke Persönlichkeit, um nicht schizophren zu werden. Die hat Jorgo Chatzimarkakis, das ist bei seinem Besuch in der TV -Redaktion nach fünf Sekunden klar. Bevor die Journalisten zur ersten Frage auch nur ansetzen können, sprudelt es aus dem 38-jährigen FDP-Politiker mit deutschem und griechischem Pass hervor. Dass er eine völlig neue Verantwortung empfindet, seit er im Juni in das Europa-Parlament gewählt wurde. Dass er die Türkei langfristig in der EU sieht. Und wie in Brüssel geschachert wird - um die Fraktionsbildung, um Posten. Chatzimarkakis, der Agrarwissenschaften, Politik, Wirtschaftsgeschichte, Völker- und Europa-Recht studiert und in Politik promoviert hat, ahmt hier den kühlen englischen Kollegen nach, parodiert dort einen feurigen italienischen Diskussionsbeitrag und imitiert anschließend ein Telefonat mit dem FDP-Altvorderen Hans-Dietrich Genscher. Die TV -Redakteure wissen nicht so recht, ob sie den Kopf schütteln oder fasziniert an Chatzimarkakis‘ Lippen hängen sollen, während er mit Genschers näselnder Stimme die Wiedergabe des Gesprächs beendet: "Tschüss, Chatzi!" So nennt ihn nicht nur seine Frau; fast alle, die ihn kennen, sparen sich den zweiten Teil des komplizierten Namens. Seine Internet-Adresse lautet www.chatzi.de, und "Chatzi - Ein deutscher Europäer" stand auf den Wahlplakaten. Darunter: "Unser Kerl aus Perl."Traum vom Agrarkommissar, der das Licht ausmacht

Dort wohnt der Generalsekretär der Saar-FDP, der in seinem Lebenslauf unter anderem zwei Lehraufträge an Universitäten und einen Job im Planungsstab des Auswärtigen Amtes vorzuweisen hat. Zuletzt war er geschäftsführender Gesellschafter einer Unternehmensberatung, die bei der EU Lobby-Arbeit machte. Sein Einzug ins Parlament - ein Seitenwechsel. Anrüchig? "Keineswegs", findet der Liberale. Jetzt sei er eben ein Dienstleister für alle Bürger. Perl bezeichnet der Abgeordnete als sein Zuhause - während er sich Duisburg, wo er 1966 als Sohn eines griechischen Gastarbeiters und einer Deutschen zur Welt kam, ebenso verbunden fühlt wie der Heimat seines Vaters, der Insel Kreta. Mit den beiden kleinen Töchtern spricht er Griechisch. Kreta verdankt Chatzimarkakis der selbst verbreiteten Legende nach, dass er seine Liebe zur Politik entdeckte. Als Bub, erzählt er, habe er beim Olivenpflücken erfahren, dass einst Wald die kahlen Berge am Horizont zierte. Irgendwas war da falsch gelaufen, folgerte er und beschloss: "Wenn ich groß bin, werde ich griechischer Landwirtschaftsminister." Den Kindheitstraum hat er im Laufe der Jahre etwas modifiziert: "Heute werden die Entscheidungen in Brüssel getroffen. Deshalb möchte ich in zehn Jahren EU-Agrarkommissar sein." Um "den Laden" dicht zu machen. Die Agrarpolitik gehöre zurück in die Zuständigkeiten der Nationalstaaten, findet Chatzimarkakis, der die europäische Integration lieber in den Köpfen vertiefen will - über Programme, die aus den Tagegeldern der Abgeordneten finanziert werden. So plant der Abgeordnete unter anderem einen Kongress zum EU-Beitritt der Türkei und eine Ausweitung der Besucherprogramme. "Ein Tag im Parlament ist oft mehr wert als eine Ladung Bücher", sagt "der deutsche Europäer", der nach eigenem Bekunden die Chance auf ein Bundestagsmandat sausen ließ, weil es ihn nach Brüssel zog. "Ich bin Europapolitiker mit Leib und Seele." Man glaubt es dem Mann mit den wohl kuriosesten regionalen Zuständigkeiten im Europa-Parlament. Den Spagat zwischen Griechen und Ruhrpottlern, Saarländern und Rheinland-Pfälzern bewältigt er mit derselben Leichtigkeit wie Besuche in Zeitungsredaktionen: "Schizophren? Nein, das bin ich nicht." Wenn er sich auch jedesmal überlege, wen er vor sich habe und sich entsprechend verhalte. "Aber ich liebe sie alle."

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