Chinas Geduld ist am Ende

Peking · Neuer Affront durch Raketentests: Pekings alte Verbundenheit zu Nordkorea ist in Feindseligkeit umgeschlagen.

Peking So schlecht waren die Beziehungen noch nie. Von Chinas gutem Verhältnis zu Nordkorea, das der "große Steuermann" Mao Tsetung einst als "so nah wie Lippen und Zähne" beschrieben hat, ist kaum noch etwas übrig. Nach außen bedient sich Peking zwar diplomatisch zurückhaltender Sprache, aber hinter den Kulissen oder unter Chinas Fachleuten gilt die historische Freundschaft als längst überholtes Überbleibsel des Kalten Krieges. Das Zerwürfnis ist beträchtlich.
"Nordkorea ist Chinas latenter Feind - und Südkorea könnte Chinas Freund sein", sagte der renommierte Historiker und Nordkorea-Experte Shen Zhihua in einer vielbeachteten Rede. Mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Seoul 1992 und der wirtschaftlichen Kooperation mit dem Süden Koreas habe sich alles geändert.
Das Verhältnis zum Norden habe sich damit zunächst normalisiert, sei dann aber sogar in "Feindschaft" umgeschlagen, stellte der Experte fest. Die Bruderschaft aus dem Korea-Krieg (1950-53), als China an Nordkoreas Seite gegen Südkorea und die USA gekämpft hatte, sei lange vorbei. Der Beistandspakt von 1961, der China noch heute zur Hilfe verpflichtet, ist aus Sicht von Shen Zhihua "ein Stück Altpapier".
"Dass Nordkorea sich nukleare Waffen zulegt und ständig Atomversuche abhält, ist die Grundursache für diese ständig schlimmer werdende Krise auf der koreanischen Halbinsel", sagt Shen Zhihua. "Wir müssen klar sehen, dass China und Nordkorea nicht mehr Waffenbrüder sind."
Die Antipathie erscheint gegenseitig: So soll Machthaber Kim Jong Un einen Besuch von Chinas Chefunterhändler Wu Dawei in Pjöngjang abgelehnt haben - was als Affront gewertet werden kann. Ebenso ist der neue Raketentest am Samstag ein Schlag ins Gesicht für Peking, das eindringlich vor solchen "Provokationen" gewarnt hatte.
Jetzt blicken US-Präsident Donald Trump und der Rest der Welt mit großen Erwartungen auf China, den Druck zu erhöhen, um Kim Jong Un von einem befürchteten neuen Atomtest abzuhalten und "zur Vernunft zu bringen". 80 Prozent des Außenhandels gehen über den großen Nachbarn. Seit Februar kauft China schon keine Kohle mehr aus Nordkorea und trocknet eine wichtige Einnahmequelle aus - nach Schätzungen 40 Prozent der Deviseneinnahmen. Auch schränken Chinas Banken nach unbestätigten Berichten ihre Kooperation mit Nordkorea ein.
"Öl ist die letzte Maßnahme", sagt der Nordkorea-Experte Jin Qiangyi von der Yanbian Universität in Jilin. "Solange Nordkorea nicht den sechsten Atomtest unternimmt, wird China nicht dazu greifen." So liefert China außer Rohöl auch Benzin und Diesel. Eine Verringerung oder gar ein Stopp der Lieferungen würde Nordkorea eine Lebensader abschnüren. Peking steckt hier aber in einem Dilemma: Zwar will China keine Atomwaffen in Kim Jong Uns Händen sehen, fürchtet aber auch einen Kollaps des armen Nachbarn mit Millionen von Flüchtlingen und unkalkulierbaren Folgen wie einer zwangsweisen Wiedervereinigung beider Koreas mit US-Truppen an der chinesischen Grenze. Diese Sorgen werden nur von der Angst vor einem ausgewachsenen neuen Korea-Krieg übertroffen, der laut Diplomaten in Peking verheerende Zerstörungen auslösen und "Millionen von Toten" zur Folge hätte. Ein militärisches Vorgehen kann deswegen eigentlich auch keine Option sein - trotz des Säbelrasselns der USA mit Flugzeugträger und Raketen-U-Boot.Extra: NORDKOREANISCHE RAKETENTESTS UNTER TRUMP


28. Januar Experten berichten, Nordkorea habe einen Atomreaktor in Betrieb genommen. 12. Februar Pjöngjang testet eine Mittel-Langstreckenrakete. Bei Tausenden Kilometern Reichweite könnte sie einen Atomsprengkopf transportieren. Zur gleichen Zeit besucht der japanische Ministerpräsident Trump in Washington. 6. März Nordkorea feuert vier Raketen ab - drei seien erst in der 200-Seemeilen-Zone vor Japan ins Meer gestürzt, heißt es aus Tokio. Nordkorea zufolge richtet sich die Übung gegen US-Stützpunkte in Japan. 7. März Die US-Streitkräfte beginnen mit der Stationierung eines neuen Raketenabwehrsystems in Südkorea. 16. bis 19. März Die USA schließen ein militärisches Vorgehen nicht aus und wollen in dem Konflikt enger mit China zusammenarbeiten. 5. April Nordkorea feuert von der Ostküste eine Rakete ab. 8. April Die USA entsenden den Flugzeugträger "USS Carl Vinson" Richtung Korea. 10. April China und Südkorea kündigen bei weiteren Tests Nordkoreas Sanktionen an. Pjöngjang droht den USA wegen der Entsendung von Kriegsschiffen. Die Volksrepublik sei für jede Art von Krieg bereit. 12. April Trump lobt China, das Schiffe mit Kohle aus Nordkorea zurückgeschickt. 29. April Nordkorea startet nach Angaben Südkoreas und der USA erneut eine Rakete.

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