CIA-Praktiken noch viel brutaler, als bisher angenommen

Washington · Es hat Jahre gedauert, Millionen Dokumente wurden durchforstet. Und nun also doch: Der Bericht über CIA-Verhörmethoden nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ist am Dienstag publik gemacht worden.

Washington. Sie habe lange mit sich gerungen, sagt Dianne Feinstein, als sie im prachtvollen Saal des US-Senats am Rednerpult steht, um ihren Bericht über Folterpraktiken in geheimen CIA-Gefängnissen vorzustellen. Alles, was gegen die Veröffentlichung sprach, habe sie mit auf die Waagschale gelegt: Sicherheitsbedenken, die Angst vor Aufruhr in der islamischen Welt, die Furcht vor Rache. Letztlich sei sie zu dem Schluss gelangt, dass eine solche Studie zu wichtig sei, als dass man sie unter Verschluss halten oder auf die lange Bank schieben dürfe.
Es werde immer Fanatiker geben, die Amerika hassen, sagt die 81-Jährige aus San Francisco. Mehr als das zähle aber, dass Amerika "einer hässlichen Wahrheit ins Auge schaut und sagt: niemals wieder!". Das Land habe Größe genug, um zuzugeben, dass es sich irrte. Es sei selbstsicher genug, um aus seinen Fehlern zu lernen.180 Stunden lang Schlafentzug


Was Feinstein, die Chefin des Senatsausschusses für die Geheimdienste, in akribischer Fleißarbeit zusammenstellen ließ, ist die ebenso gründliche wie makabre Beschreibung eines Kapitels, von dem sie sagt, dass es noch brutaler gewesen sei, als es die CIA bis heute zugeben wolle. Neu ist, dass der Dienst im Zuge des "Krieges gegen den Terror" insgesamt 119 Häftlinge in Geheimgefängnissen in Europa und Asien verhörte, nicht nur 98, wie es bisher immer hieß. 39 von ihnen wurden gefoltert, auch das eine Zahl, die deutlich über das hinausgeht, was bisher bekannt war.
Manchmal dauerte der Schlafentzug, mit dessen Hilfe der Wille der Inhaftierten gebrochen werden sollte, bis zu 180 Stunden. Eine Woche lang mussten Gefangene in solchen Fällen aufrecht stehen, die Hände zeitweise über dem Kopf gefesselt und an eine von der Decke herabhängende Kette gebunden, sodass es zusätzlich schmerzte.
Der Irrweg begann 2002 mit dem Palästinenser Abu Zubaida, der in den Reihen des Terrornetzwerks Al-Kaida für Logistik zuständig war. In Pakistan festgenommen, wurde er nach Thailand gebracht, wo ihn Agenten mittels Wasserfolter zum Reden bringen wollten. Die Quälereien des simulierten Ertrinkens hätten solche Ausmaße angenommen, dass einige CIA-Agenten schockiert um Versetzung gebeten hätten. Einmal, steht in Feinsteins Bericht, habe Abu Zubaida überhaupt nicht mehr reagiert, "während Blasen aus seinem offenen Mund kamen". Zwei private Auftragnehmer, beides Psychologen, hätten sich das Folterprogramm in Thailand ausgedacht, und auch, als es nach Polen, Rumänien, Litauen und in andere Länder ausgedehnt wurde, habe sich die CIA der Dienste von Privatexperten bedient.
Zum ersten Mal erfährt die Öffentlichkeit von einem afghanischen Gefängnis, im Jargon die Salzgrube genannt, wo das Waterboarding ebenfalls angewandt wurde, obwohl die Regierung George W. Bushs dies immer abgestritten hatte. Ein Beamter verglich die "Salzgrube" mit einem mittelalterlichen Kerker, ein anderer gab zu Protokoll, dass manche Häftlinge "buchstäblich wirkten wie Hunde in einem Zwinger".
Als Feinstein ihre Studie präsentiert, de facto eine Studie der Demokraten, da die Republikaner die Mitarbeit verweigerten, zieht sie in schonungslos offenen Worten eine verheerende Bilanz. In keinem Fall habe die CIA Erkenntnisse gewonnen, die sonst "nicht verfügbar gewesen wären". Mehr noch, oft hätten die Misshandelten frei erfundene Geschichten erzählt, nur um nicht länger gequält zu werden. "Zu foltern ist nicht nur falsch, es funktioniert auch nicht", bringt es Harry Reid, der scheidende Mehrheitsführer des Senats, auf den Punkt.
Um das Puzzle zusammenzusetzen, haben Mitarbeiter der Kammer über sechs Millionen Seiten interner Dokumente sortiert und gesichtet. Bereits im Dezember 2012 segnete das von Dianne Feinstein geleitete Komitee das Papier ab, worauf die Schlapphüte aufs Heftigste protestierten und Präsident Barack Obama drängten, sein Veto einzulegen. Zwei Jahre lang rangen Geheimdienst, Weißes Haus und die Senatsfraktion der Demokraten um Kompromisse. Herausgekommen ist eine rund 500 seitige Kurzfassung mit vielen geschwärzten Stellen.Meinung

Eigentor
Die lückenlose Aufarbeitung dessen, was die CIA im "Krieg gegen den Terror" an Irrwegen beschritt, liegt im amerikanischen Interesse. Wer Gefangene foltert, verstößt gegen die Regeln des Rechtsstaats, auf die gerade die Vereinigten Staaten stolz sind. So lautstark sich konservative Hardliner darauf berufen, dass das Ziel - die Verhinderung von Terroranschlägen - die Mittel rechtfertigt, so gründlich sind sie auf dem Holzweg. Ob Guantánamo oder Waterboarding: Wann immer die amerikanische Republik, nach eigenem Anspruch die älteste Demokratie der Welt, ihre Prinzipien missachtet, schießt sie ein Eigentor. Dann liefert sie islamistischen Fanatikern nur Argumente, um die nächste Generation von Fanatikern zu rekrutieren. Wird der Bericht über die Quälereien in CIA-Geheimgefängnissen veröffentlicht, ist er nur noch eine Aneinanderreihung von Fragmenten - und die brisantesten Stellen sind geschwärzt. Dass es ihn überhaupt gibt, ist der Hartnäckigkeit einer 81-jährigen Senatorin zu verdanken. Respekt, Dianne Feinstein! nachrichten.red@volksfreund.de

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