"Dann sagen die Leute ihren Leichen nachts guten Tag"

Trier/Hahn · 41 Polizisten haben sich in den vergangenen fünf Jahren in Nordrhein-Westfalen das Leben genommen. Das berichtet Die Welt. Zahlen für Rheinland-Pfalz gibt es nicht. Wie hoch ist die Belastung der Beamten tatsächlich?

Trier/Hahn. Mit dem Polizeisselsorger Hubertus Kesselheim und dem Polizeipsychologen Frank Hallenberger hat TV-Redakteur Rainer Neubert über die besonderen mentalen Anforderungen im Polizeiberuf gesprochen.

Sie unterrichten in der Landespolizeischule am Flugplatz Hahn und helfen im Kriseninterventionsteam der Landespolizei regelmäßig Beamten, die traumatische Situationen erlebt haben. Macht Polizeiarbeit krank?
Hubertus Kesselheim: Die psychischen Belastungen des Polizeiberufes sind sehr vielfältig. Die Angst, im Dienst Gewalt ausgesetzt zu sein, schwingt immer mit. Gerade in großen Dienststellen wie der Polizeiinspektion Trier gibt es viele unberechenbare Einsätze, die auch mit Menschen unter Drogen und Alkohol zu tun haben.

Hinzu kommen Unfälle und Kapitalverbrechen.
Kesselheim: Ja, die ständige Konfrontation mit Leid und Tod ist eine Dauerbelastung. Das kann zehn oder 20 Jahre gut gehen. Dann sagen die Leute nachts ihren Leichen guten Tag.Gerade bei der älteren Generation der Beamten haben sich Stress- und Belastungsfaktoren aufsummiert, die nicht verarbeitet worden sind. Ich erlebe es, dass sich bei Polizisten Mitte 50 die Dinge so sehr aufgestaut haben, dass die psychische Belastung bei neuen Einsätzen groß ist.

Die Gewerkschaft der Polizei fordert in Nordrhein-Westfalen Aufklärung wegen ungeklärter Selbsttötungen von Beamten.
Hallenberger: Zunächst muss festgestellt werden, dass 41 Suizide innerhalb von fünf Jahren im Vergleich zur restlichen Bevölkerung unter dem Durchschnitt liegen. Zahlen für Rheinland-Pfalz gibt es nicht. Aber natürlich hat die Belastung in den Dienststellen zugenommen, weil dort weniger Leute das Gleiche tun müssen. Das ist seit vielen Jahren ein wachsendes Problem. Ein genereller Zusammenhang mit Selbsttötungen lässt sich aber nicht quantifizieren.
Kesselheim: Die Zusammenarbeit von Sozialberatung, Seelsorge und Psychologie bei der Polizei in Rheinland-Pfalz ist eine sehr gute Sache. Wegen des Zeugnisverweigerungsrechts kann ich auch dann helfen, wenn es um falsches Handeln oder Schuld geht. Aber natürlich können auch Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Berufs zur psychischen Belastung werden, gerade bei jungen Menschen. Die wollen etwas für die Gesellschaft tun - die Gerechtigkeitsfrage. Und dann erleben sie im Alltag eine große Kluft zwischen Anspruch und Realität. r.n.Extra

Das Kriseninterventionsteam kommt dann zum Einsatz, wenn Polizisten bei Einsätzen schwer belastet, verletzt oder traumatisiert wurden. Auch wenn Beamte an den Folgen des Einsatzes erkranken oder Probleme mit der Verarbeitung des Erlebten haben, kommt dieses Team zum Einsatz. Mitglieder sind unter anderen Polizeiseelsorger Hubertus Kesselheim, Polizeipsychologe Frank Hallenberger (Leiter), Sozialberater Peter Behles, Hauptkommissar Siggi Müller und weitere Soziale Ansprechpartner und Krisenhelfer. r.n.

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