Das Ende der Geduld

BERLIN. Es hat eine Weile gedauert, bis die Bundesbürger reagiert haben. Die Schonfrist für Angela Merkel währte deutlich länger als bei ihren männlichen Vorgängern, und der Vertrauensvorschuss für die erste deutsche Kanzlerin war beträchtlich.

Jetzt, nach zehn Monaten Geduld mit der Großen Koalition, nach der nationalen WM-Euphorie und nach dem Ende der Urlaubszeit, kehrt Ernüchterung ein im Lande. Die Leute sind enttäuscht über die Regierungskunst derer von Berlin, sie haben sich mehr erhofft als zähe Diskussionsprozesse über Föderalismus, Gesundheitskosten oder Rauchverbote. Merkel, daran besteht kein Zweifel, ist in der rauen Wirklichkeit angekommen. Die Zahlen des aktuellen "Politbarometers" sprechen eine klare Sprache: Union und SPD im Rückwärtsgang, Merkel im Sinkflug. Zwar regt diese Entwicklung niemanden in der Bevölkerung groß auf, aber sie ist ein Indiz für den schwelenden Unmut in einer Republik, die vor kurzem noch schwarz-rot-goldene Purzelbäume schlug. Dieser Unmut ist verständlich, denn so richtig geht nichts vorwärts in Berlin. Okay, das "weiche Thema" Gleichbehandlungsgesetz (früher: Antidiskriminierungsgesetz) ist nun in Kraft. Und mit Inbrunst kämpfen ein paar Eiferer um rauchfreie Zonen. Bei den "harten Themen" herrscht dagegen weiter Stillstand: Ob Arbeitsmarkt, Gesundheits- oder Steuerreform - die Koalitionäre von Berlin blockieren sich gegenseitig. Das ist fatal, denn jetzt geht es erst richtig los mit den Problemen. Erstens rollt eine Preislawine auf Deutschland zu: Lebensmittel werden teurer, die Energiekosten steigen unaufhörlich - während Löhne und Renten stagnieren. Zweitens steht die saftige Mehrwertsteuererhöhung vor der Tür, mit ihren noch unabsehbaren Folgen. Drittens wird die geplante Steuerentlastung für Unternehmen zu neuerlichen Verwerfungen innerhalb der Koalition und insbesondere der SPD führen. Viertens hat diese Regierung noch immer keinen Schimmer, wie sie die galoppierenden Gesundheitskosten in den Griff kriegen könnte. Und fünftens steht die Bundeswehr, die schon in zahlreichen Ländern als Schutzpolizei agiert, im Pulverfass Nahost vor ihrer bisher schwierigsten Mission. Auf Merkel, die in ihrem verdienten Urlaub die "Götterdämmerung" erlebte (vorerst nur in Bayreuth), kommt nun einiges zu. Sie wird ihren bisherigen Politikstil überdenken müssen und gut beraten sein, vom Attentismus Kohl´scher Prägung (Aussitzen der Probleme) Abstand zu nehmen. Die Kanzlerin muss ja nicht gleich mit dem Hammer kommen wie seinerzeit die "Eiserne Lady" Margaret Thatcher, die eine gewisse Vorbildfunktion für Merkel hat. Aber die Führung eines der bedeutendsten Länder der Erde darf sich nicht im Moderieren widerstrebender Kräfte erschöpfen. Die Bürger erwarten Klartext, nachvollziehbare Entscheidungen und Gerechtigkeit, aber keine taktischen Fisimatenten. Wenn Merkel dies nicht beherzigt, wird es weiter bergab gehen.

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