Das gerechte Wetter

Ach ja, das Wetter. Über was könnte man reden - im Bus, in der Kantine, beim Kaffeeklatsch, am familiären Abendbrottisch, in der Kneipe, wenn es das Wetter nicht gäbe? Gesundheitsreform, Libanon, Doping?

Mein Gott, wen regt das schon auf. Aber zu heiß, zu warm, zu trocken, zu nass, zu dürr, zu tropisch: Da kann jeder mitreden, da ist jeder betroffen. "Mit des Wetters Mächten ist kein ew'ger Bund zu flechten", formulierte schon Schiller. Oder hieß es nicht doch irgendwie anders? Keine Ahnung, ab einem bestimmten Grad von Luftfeuchtigkeit funktioniert mein Gedächtnis ohnehin nicht mehr. "Dass das Wetter aber auch immer so übertreiben muss!", schimpft ein Kollege. Irgendwie müsste man es mit der modernen Technik doch einstellen können, bei, sagen wir, sonnigen 25 Grad tagsüber, einmal in der Woche ein kräftiger Schauer-Nachmittag für die Natur, allabendlich bis Mitternacht Biergarten-Wärme, dann deutliche Abkühlung zwecks nächtlicher Auffrischung, bevor Petrus am Morgen dann das Thermometer wieder auf 25 stellt. Klingt hübsch, der Gedanke. Und eine Menschheit, die demnächst auf den Mars fliegt, müsste doch eine Kleinigkeit wie das Wetter einigermaßen in den Griff kriegen. Aber andererseits: Wenn man das Wetter machen könnte, wäre es über kurz oder lang eine Ware wie die anderen auch. Und weil wir eine Marktwirtschaft haben, würde es irgendwann auch gehandelt wie jede andere Ware auch. Dann gäbe es Leute, die könnten sich 24 Stunden am Tag ihr Lieblingswetter leisten. Über manchem Nobel-Stadtteil schiene rund um die Uhr die Sonne, Segelyacht-Besitzer hätten immer den passenden Wind, Golfplätze stets einen saftig-grünen Rasen. Und weil der Markt es nun mal mit sich bringt, dass weniger begehrte Waren preiswerter zu haben sind als andere, müsste sich der untere Mittelstand mit Nieselregen und kurzen Aufheiterungen begnügen, und für Hartz-IV-Empfänger blieben Hagel, Gewitter und Schwüle. Das anfangs noch staatlich verwaltete Wetter würde bald privatisiert, eifrige Börsianer legten Wetter-Aktien auf und würden steinreich. Irgendwann würde die Regierung ihren Bürgern nahe legen, sich rechtzeitig abzusichern, damit sie sich auch im Alter noch ein Restchen Sonne leisten könnten. Na ja, vielleicht lassen wir es doch besser bei den wetterwendischen Kapriolen der Natur. Denn im Moment ist das Wetter so ziemlich das Gerechteste, was wir im Lande haben. Zum Beispiel, wenn man unsere Fußball-Millionarios bei 40 Grad in der Saisonvorbereitung auf dem Rasen schuften sieht, unter Bedingungen, die jeden chinesischen Fahrradkuli zu einer Eingabe bei amnesty international bewegen würden. Oder unsere ganzen Chefs, die in ihren repräsentativen Obergeschoss-Büros mit 20 Meter Südseite-Über-Eck-Fensterfront erbärmlich vor sich hinschwitzen. Oder unsere Großkopferten, die in Schlips, Weste und Anzug in Bayreuth oder Salzburg herumprunken müssen, wo unsereins in Shorts am Planschbecken sitzt. Also: Überlassen wir das Wetter weiter dem Zufall. Obwohl: Ab nächste Woche habe ich Urlaub. Und wehe, ausgerechnet da ist es zu kalt. Oder zu heiß. Oder zu nass. Oder zu... d.lintz@volksfreund.de

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