"Das konnte niemand voraussehen"

OTZENHAUSEN. Der Fall der Mauer heute vor 15 Jahren kam nicht nur für die Menschen in beiden deutschen Staaten überraschend, auch die Geheimdienste wussten vorher nichts davon. Das jedenfalls behaupteten zwei Top-Geheimdienstler aus Deutschland und den USA bei einer DDR-Tagung im Europäischen Bildungszentrum in Otzenhausen (Kreis St. Wendel).

CNN hat vor dem US-Geheimdienst CIA gewusst, dass die Mauer gefallen ist. Die Geheimdienstler saßen vor 15 Jahren in Washington vor den Fernseher und verfolgten gebannt die Bilder, die der amerikanische Nachrichtensender live aus Berlin sendete.CIA besorgt sich Infos über den Kreml

Dass die Mauer fallen würde, damit habe man nicht gerechnet, zumindest nicht so schnell, bekennt der Ex-CIA-Mann und Verfasser des Buches "Der Hauptfeind", Milt Bearden, der 30 Jahre lang beim amerikanischen Geheimdienst Kopf der Abteilung Sowjetunion/Osteuropa war. Als CIA-Chef in Pakistan rekrutierte er afghanische Kämpfer gegen die Sowjets. Milt Bearden weiß, wovon er spricht, er plaudert gerne aus dem Nähkästchen, ohne jedoch wirklich Geheimnisse oder Quellen zu verraten. Und trotzdem ist es überraschend, wenn er gesteht, der CIA habe keine Agenten in der ehemaligen DDR gehabt, man sei auf die Informationen "einiger guter Männer" im Kreml in Moskau angewiesen gewesen. Eigentlich unglaublich. Über 30 Milliarden Dollar geben die USA für ihre Geheimdienste jährlich aus. Doch was sich in der DDR, der Nahtstelle der beiden befeindeten Systeme Ende der 80er Jahre abspielte, wissen sie nicht. Der CIA habe sich zu dieser Zeit mehr mit den Entwicklungen in China beschäftigt, die ersten Montagsdemos in Leipzig seien nicht sonderlich ernst genommen worden. Es hätten sich 1989 so "viele Dinge gleichzeitig" ereignet, vor allem in den osteuropäischen Staaten: "Das konnte niemand voraussehen, wie sich die Lage in der DDR entwickeln würde", so Bearden. Doch nicht nur in den USA hat man vor 15 Jahren wenig Augenmerk auf die Entwicklungen in der DDR gelegt. Auch die Bundesregierung glaubte bis zuletzt, dass die DDR-Bürger ein eigenes Staatsbewusstsein entwickeln würden und setzte weiterhin auf die Stabilität und das Weiterbestehen des ostdeutschen Staates. Obwohl der Bundesnachrichtendienst (BND) seit 1985 ein ganz anderes Bild von der DDR lieferte: "Wir haben schon früh erkannt, dass der damalige sowjetische Staatschef Gorbatschow es ernst meint mit der Öffnung nach Westen", sagt Hans-Georg Wieck, von 1985 bis 1990 Präsident des BND. Doch bei der Bundesregierung ignorierte man die Signale, genau wie auch die ständigen Berichte des Dienstes. Der BND habe aus Befragungen der Bevölkerung ein relativ genaues Bild über die Befindlichkeiten dort gehabt, sagt Wieck. In Zügen wurden Reisende aus der DDR verdeckt von BND-Mitarbeitern gefragt. Auch offizielle Reisegruppen, DDR-Urlauber in Osteuropa, Übersiedler oder Flüchtlinge dienten als Quelle. Diese "psycho-politischen Lageberichte" wurden alle sechs Monate nach Bonn geschickt. Das Bild, das sich so ergab, war eindeutig: Die DDR-Bevölkerung hielt an der Wiedervereinigung fest, hatte allerdings wenig Hoffnung, dass es so weit kommen könnte. "Wir haben die Lage genau beschrieben, was die Bundesregierung daraus machte, war ihre Sache", resümiert Wieck resigniert. "Auch ging man in Bonn von einer günstigeren wirtschaftlichen Lage der DDR aus, als sie tatsächlich war."Sowjetunion konnte nicht mehr helfen

Die Sowjetunion war auch nicht mehr in der Lage, den Bruderstaat finanziell zu unterstützen. Daher ist sich Wieck sicher: Auch ohne Mauerfall wäre eine Wiedervereinigung gekommen, eben nur nicht so schnell. Selbst als im Herbst ‘89 die Montagsdemos zunahmen, glaubte die Bundesregierung noch, dass diese von rechtsradikalen Provokateuren aus Westdeutschland gesteuert würden. "Sie können noch so gute Quellen haben, wenn die Auswertung falsch interpretiert wird", meint Wieck.

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