Das kranke Gesundheitssystem

TRIER. Wie kann der zunehmenden Kriminalität im Gesundheitswesen begegnet werden? Juristen, Polizisten, Ärzte und Kassenvertreter diskutierten darüber bei einer Tagung in Trier.

Werner Schulze traut den Ärzten einiges zu. Viele der Mediziner hält er für kriminelle Abzocker. Der Kriminalhauptkommissar aus dem niedersächsischen Celle ermittelt seit Jahren gegen betrügerische Zahnärzte, die teure Kronen abrechnen, aber nur billige Füllungen gemacht haben. Und gegen Mediziner, die ihren Patienten auf dem Behandlungsstuhl vorgaukeln, dass die Krankenkassen nicht mehr alles bezahlen und sie nun unterschreiben müssten, dass sie zwei Drittel der Kosten übernehmen. Oder gegen einen Frauenarzt, der Untersuchungen von Schwangeren abrechnete, obwohl er sie nie machte. Und gegen einen Chirurgen, der von seinen Patienten 250 Euro verlangte, wenn sie sich auf seinen OP-Tisch legten. Ärzte halten Schaden für überschaubar

Die Mediziner halten den Schaden durch betrügerische und korrupte Kollegen für weitaus geringer als landläufig vermutet. Außerdem stünden nicht nur Ärzte am Pranger. Auch Patienten betrögen, etwa, wenn sie ihre Versicherten-Chipkarte "verleihen" würden. Allein durch den Kartenmissbrauch ginge den gesetzlichen Kassen jährlich eine Milliarde Euro verloren, heißt es bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Auch Apotheker geraten immer wieder ins Visier der Fahnder, wenn sie etwa Medikamente abrechnen, die in Deutschland gar nicht auf dem Markt sind. Die weltweite Antikorruptions-Vereinigung Transparency International schätzt den Schaden durch Missbrauch im deutschen Gesundheitswesen auf 20 Milliarden Euro. Doch selbst Ermittler halten diese Schätzung für übertrieben. Allerdings ist nach Erkenntnissen des Bundeskriminalamtes der Schaden durch Abrechnungsbetrug und Kartenmissbrauch deutlich höher als etwa von den Medizinern vermutet. Fakt ist: Den genauen Schaden kann niemand exakt beziffern, fest steht nur, er geht in die Milliarden. Nach Angaben der AOK Hessen hat der Abrechnungsbetrug von Ärzten, Apothekern, Hebammen und Therapeuten in den vergangenen fünf Jahren zugenommen. In Rheinland-Pfalz hat die AOK daher vor einem Jahr die Möglichkeit geschaffen, Fehlverhalten im Gesundheitswesen anonym anzuzeigen. Nach einem Sturm der Entrüstung durch die Ärzte hatten sich AOK und Kassenärztliche Vereinigung im Herbst geeinigt, dass nicht die anonyme Denunziation im Mittelpunkt des Meldesystems stehen sollte. Nach Ansicht der Fahnder mangelt es aber weiter an Kontrollmöglichkeiten. Die Überprüfungsinstanz der Kassenärztlichen Vereinigung sei zu spärlich ausgestattet, beklagt Kriminalhauptkommissar Frank Schmitz. Er leitet die Arbeitsgruppe Rhein-Lahn bei der Polizei in Koblenz. Im Jahr 2000 wurden von den Ermittlern 14 000 Einzelfälle bearbeitet, in denen Ärzte Leistungen falsch abgerechnet und zum Teil direkt von den Patienten kassiert hatten. Bei den Vorkommnissen werde jeder geschädigte Patient statistisch als Fall erfasst, die Zahlen sagten jedoch nichts über die Anzahl der Ärzte aus, die weitaus geringer sei. Neben dem Ausbau der Kontrollmechanismen fordern Experten auch ein strengeres Vorgehen beim Zusammenspiel zwischen Pharma-Industrie und Ärzten. Der Düsseldorfer Rechtsanwalt Mathias Klümper setzt dabei auf eine Selbstbeschränkung der Unternehmen. Das Graufeld zwischen Bestechung von Medizinern und notwendiger Forschung und Erprobung neuer Medikamente müsse dringend aufgehellt werden. Einige Hersteller hätten sich bereits einen Kodex auferlegt, der Zuwendungen an Mediziner streng regele. Der Würzburger Strafrechtler Frank Zieschang fordert eine strengere Kontrolle der Drittmittel für an Hochschulen forschende Mediziner. Es müsse im Einzelfall überprüft werden, ob es nicht eine strafbare Vorteilsnahme der Forscher sei.

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