Das laute Schweigen der grünen Minister

BERLIN. Joschka Fischer und Jürgen Trittin sind beide einst angetreten, der deutschen Atomwirtschaft die Geschäfte zu verleiden. Das ist ihnen einigermaßen gelungen, doch ein brisantes Problem verstrahlt womöglich den grünen Erfolg: China will ausgerechnet die von den Grünen oft kritisierte Atomanlage im hessischen Hanau aufkaufen.

Als Bundeskanzler Gerhard Schröder diese politische Bombe bei seinem China-Besuch am Dienstag zündete, zuckte der grüne Koalitionspartner in Deutschland zusammen. "Das müssen wir verhindern", war die erste Reaktion der Grünen-Mitbegründerin Christa Nickels, die jetzt dem Menschenrechtsausschuss des Bundestages vorsitzt. Auch Umweltpolitiker der SPD runzelten die Stirn.Der SPD-Fraktionsvize und Öko-Experte Michael Müller meinte vielsagend: "Das Geschäft muss ich mir mal näher anschauen. Ich habe viele Fragen an den Kanzler." Am aufschlussreichsten aber sind die Reaktionen der Minister Fischer und Trittin. Die beiden Obergrünen schweigen nämlich so laut, dass vielen Untergrünen die Ohren klingen. Auch auf mehrfaches Nachfragen waren die Ministerien am Mittwoch nicht bereit, die Meinung ihrer Chefs kund zu tun. Nicht nur politisch brisant, sondern auch peinlich

Trittins Sprecher Michael Schroeren sah "keine Veranlassung", sich vor Ablauf des Prüfverfahrens zu äußern. Und Fischers Interpretin Antje Leendertse wies lediglich darauf hin, dass sich der Minister "ja in Neapel" befinde. Fischer und Trittin wissen, warum sie lieber den Mund halten: Die Angelegenheit ist nicht nur politisch brisant, sondern auch überaus peinlich. Denn es war niemand anderes als der damalige hessische Umweltminister Joschka Fischer, der den Bau und die Inbetriebnahme der Hanauer Atomanlage (sie sollte Uran und Plutonium zum Brennelement Mischoxid verarbeiten) hintertrieben und letztlich auch verhindert hat. Die Eignerin Siemens AG gab das 1,1 Milliarde D-Mark (560 Millionen Euro) teure Projekt 1995 auf, weil sie vor den politischen Schwierigkeiten kapituliert hatte. Danach gammelte die Anlage vor sich hin, wurde schließlich abgebaut und wartet seitdem auf ihre weitere Verwendung. Vor drei Jahren wollte Russland sie erwerben, doch scheiterte das (bereits genehmigte) Geschäft an der ungeklärten Finanzierung. Schröder hatte am Dienstag im fernen Kanton den Eindruck erweckt, den Geschäftswunsch der Chinesen erfüllen zu können: "Es sieht nicht so aus, als ob es unbedingt etwas gäbe, was dagegen spräche." Damit präjudizierte der Kanzler eine Entscheidung, die angeblich noch intensiv geprüft wird und die vom "Ausfuhr-Ausschuss" genehmigt werden muss. In diesem Ausschuss sitzen Vertreter des Wirtschaftsministeriums (federführend), des Außenministeriums, des Bundesamtes für Wirtschaft- und Ausfuhrkontrolle und des Bundesnachrichtendienstes (BND). Nach Informationen unserer Zeitung hat die rechtliche Prüfung des Sachverhalts ergeben, dass "keine Einwände geltend gemacht werden können". Deshalb sei das Geschäft "wohl kaum zu verhindern". Wie dem auch sei: Die rot-grüne Koalition steckt in der Klemme. 1998 angetreten mit dem hehren Anspruch, die verteufelte Kernenergie mit allen Mitteln zu bekämpfen, muss sie jetzt vermutlich ein Geschäft erlauben, das ihre Glaubwürdigkeit massiv untergräbt. Ausfuhrgenehmigung bereits im Februar beantragt

Ein Land, das aus guten Gründen aus der Nukleartechnik ausgestiegen sei, könne doch nicht als "billiger Jakob" eine Atomanlage nach China verscherbeln, klagte die Grüne Christa Nickels. Auch Winfried Nachtwei und Christian Ströbele lehnen das Geschäft strikt ab. Der engergiepolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Hempelmann, wollte sich vorsichtshalber noch nicht äußern und "erst Informationen sammeln". Wenn ihm das gelingt, kann er erfahren, dass Siemens schon im Februar 2003 den Antrag auf Ausfuhrgenehmigung gestellt hat, dass sich Staatssekretäre der Mini-ster Fischer und Trittin seit geraumer Zeit brieflich darüber austauschen, dass die Frage einer Hermes-Bürgschaft zur finanziellen Absicherung des Geschäfts intern bereits geklärt ist ("Das können wir uns politisch nicht leisten"), und dass das Geschäft mit Auflagen verbunden werden soll - um den politischen Schaden für die Koalition im Rahmen zu halten.

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