"Das Militär leidet"

WASHINGTON. Neuer Zungenschlag in der USA-internen Debatte über die Stationierung amerikanischer Truppen in Irak: Ein prominenter US-Demokrat hat sich erstmals öffentlich für einen sofortigen Abzug der amerikanischen Soldaten aus dem Land stark gemacht.

John Murtha ist nicht nur ein einflussreicher Kongress-Abgeordneter, sondern auch ein hochdekorierter Korea- und Vietnam-Veteran. Als es auf dem Kapitol im Jahr 2002 um die Frage ging, ob das Repräsentantenhaus dem Präsidenten eine Vollmacht für den Krieg gegen Saddam Hussein erteilen sollte, stimmte der Demokrat ohne Zögern mit "ja". Doch nun ist der als "Falke" geltende Parlamentarier, der neben seiner politischen Karriere 37 Jahre lang bei den US-Marines diente und ranghöchster Vertreter der Opposition im Verteidigungs-Ausschuss ist, zur Speerspitze jener geworden, die in Washington vehement einen Abzug der amerikanischen Truppen aus dem Irak fordern - und zwar so schnell wie möglich. "Zum Katalysator für Gewalt geworden"

Bei einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz am Donnerstagnachmittag argumentierte Murtha jetzt erstmals öffentlich: "Unsere Truppen haben ihr ursprüngliches Ziel erreicht, sind aber nun zum Katalysator für Gewalt geworden. Das Militär leidet." Der Parlamentarier warf gleichzeitig US-Präsident George W. Bush vor, die wahre Lage im Irak zu verschleiern. "Der Krieg läuft nicht so, wie er uns in der Heimat verkauft wird. Eine fehlerhafte Strategie wird hier von der Illusion begleitet, die Situation werde sich schon bessern." Mit diesen Aufsehen erregenden Äußerungen Murthas hat die derzeit in den USA schwelende Debatte um die zukünftige Rolle amerikanischer Soldaten im Irak einen neuen Hitze-Punkt erreicht. Immer lauter wird der Ruf nach einer klaren Schluss-Strategie und einem raschen Ende des Militär-Engagements. Am Dienstag unterlagen zwar die US-Demokraten im Senat gegen die republikanische Mehrheit noch mit ihrer Forderung, Bush solle endlich einen verbindlichen Zeitplan für den Truppenabzug vorlegen. Doch das Problem ist damit für das Weiße Haus nur aufgeschoben: Denn eine Senatsmehrheit stimmte dann einer Resolution zu, die den Präsidenten verpflichtet, bis zum Ende des Jahres 2006 den irakischen Truppen größere Verantwortung für die Sicherheit in dem Zweistromland zu übertragen und gleichzeitig klarere Aussagen zum weiteren US-Engagement vorzulegen. Der Grund für die wachsende Opposition zum "Augen zu und durch"-Kurs des Weißen Hauses dürfte in den Zwischenwahlen zum Kongress im kommenden Jahr liegen. Angesichts der wachsenden Verluste im Irak fürchten offensichtlich mehr und mehr Volksvertreter eine Abstrafung durch die Wähler, wenn sie weiterhin vorbehaltlos den Regierungskurs unterstützen. Umfragen zufolge befürworten mittlerweile 52 Prozent der US-Bürger ein Ende des Militäreinsatzes innerhalb der nächsten zwölf Monate. "Nicht die tatsächliche Stimmung in der Truppe"

Der Demokrat Murtha, dem beste persönliche Beziehungen zur US-Militärführung nachgesagt werden, geht davon aus, dass innerhalb von sechs Monaten alle Soldaten aus dem Irak abgezogen werden könnten. Beobachter in Washington wiesen gestern darauf hin, dass die Äußerungen des prominenten Abgeordneten durchaus auch das Denken in den obersten Rängen der US-Armee reflektierten und man intern offenbar nicht mehr daran glaube, den Kampf gegen die Aufständischen innerhalb eines realistischen Zeitraums abschließen zu können. In ersten Reaktionen insistierten führende Republikaner jedoch darauf, dass der Pessimismus von Murtha und anderen Oppositionspolitikern nicht die tatsächliche Stimmung in der Truppe widerspiegele. Der von dem Vorstoß Murthas auf seiner Asien-Reise überraschte US-Präsident reagierte mit einer ungewohnt scharfen Stellungnahme durch seinen Sprecher Scott McClellan. Es sei verblüffend, dass der in Verteidigungskreisen respektierte demokratische Abgeordnete "nun die politische Position eines Michael Moore und des extremen liberalen Flügels der Demokraten" einnehme. Angesichts der bevorstehenden historischen Wahlen im Irak sei es nicht die Zeit, vor Terroristen zu kapitulieren, so McClellan.

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