Das NRW-Kreuzchen wirkt sich auch auf Berlin aus

Düsseldorf/Berlin · Sie haben sich im Wahlkampf nichts geschenkt: Hannelore Kraft (SPD), Norbert Röttgen (CDU) und Christian Lindner (FDP). Das Abschneiden dieser drei Spitzenkandidaten bei den Landtagswahlen am Sonntag in Nordrhein-Westfalen wird auch weitreichende bundespolitische Konsequenzen haben - es geht um Ambitionen, Einfluss und Macht.

Auf ihr lasten jetzt alle Hoffnungen der Sozialdemokraten: Hannelore Kraft soll für klare politische Verhältnisse sorgen. Keine zusammengeschusterten Mehrheiten mehr wie bis dato in Nordrhein-Westfalen. Rot-Grün aus eigener Kraft lautet die Parole. Auf dass die Düsseldorfer Farbkombination auch die Bürger bei der nächsten Bundestagswahl elektrisiere.

Schnee von gestern


Dabei hat sich die 50jährige gebürtige Mühlheimerin wahrlich nicht in diese Schlüsselrolle gedrängt. Wäre sie von den Grünen nicht zum Jagen getragen worden, dann hätte es das Modell einer rot-grünen Minderheitsregierung mit gefälliger Unterstützung mal der einen, mal der anderen Oppositionspartei nie gegeben. Doch das ist Schnee von gestern. Kraft hat durchaus das Zeug, weiter Ministerpräsidentin in Düsseldorf zu bleiben. Im Wahlkampf gibt sie sich als fürsorgliche Landesmutter. Ihre Kumpelhaftigkeit, ihr Kümmerer-Image kommt an bei den Leuten an Rhein und Ruhr. Verstellen muss sie sich nicht dabei. Kraft stammt aus einfachen Verhältnissen. Sie war die Erste, die in ihrer Familie Abitur machte.
Spätestens seit dem vergangenen Dezember ist sie auch bei den Genossen eine ganz große Nummer. Mit stolzen 97,2 Prozent wurde Kraft damals zu einer der vier Stellvertreter von Parteichef Sigmar Gabriel gewählt. Es war das mit Abstand beste Ergebnis. Vielleicht hing das auch mit dem damaligen Schaulaufen der drei potenziellen Kanzlerkandidaten zusammen. Alles lauter Männer. Doch auch deren Schicksal liegt jetzt in Krafts Hand. Scheitert Rot-Grün in Düsseldorf, dürfte sich der Wettstreit von Gabriel, Steinmeier und Steinbrück wohl nur noch darum drehen, wer unter Angela Merkel Vizekanzler wird.
Dagegen hat Kraft schon mehrfach erklärt, dass sie in Nordrhein-Westfalen bleiben will. Egal, was da komme. Gewinnt sie die Wahl, dürften aber die Stimmen lauter werden, sich das noch einmal gründlich zu überlegen.
Über den wenig gelungenen Wahlkampf von Norbert Röttgen, Krafts CDU-Herausforderer, ist zuletzt in Berlin viel geredet worden. Zu verkopft sei der 46-Jährige, keiner, der hemdsärmlig die Leute im Pott mal eben in den Arm nehmen könne. Und nun stilisiere er den Urnengang in NRW auch noch zum Votum über die Europapolitik der Kanzlerin. Freund, Feind, Parteifreund - die meisten Widersacher Röttgens, die so reden, sitzen in der Union selbst. Als kürzlich eine führende Unionsfrau von Journalisten gefragt wurde, ob sich die Kanzlerin denn nach der Landtagswahl einen neuen Bundesumweltminister suchen müsse, lautete die sibyllinische Antwort: "Die Frage stellt sich nicht." So etwas rutscht schon mal raus, wenn man nicht wirklich an einen Wahlsieg Röttgens glaubt.
"Muttis Klügsten" sollte man aber nicht unterschätzen. Auf seinem Weg nach oben - das Kanzleramt soll Endstation sein - hat er zwar vielen ungalant auf die Füße getreten, gerade der konservative Wirtschaftsflügel ist nicht gut auf den wendigen Atomaussteiger zu sprechen. Aber den meisten in der bundespolitischen Liga ist der Rheinländer immer einen Schritt voraus - gedanklich, intellektuell, programmatisch. Im Bundestag können seine Auftritte rasant sein. Das hat ihm eine beachtliche Fangemeinde verschafft. Seine Chancen, Ministerpräsident zu werden, sind freilich überschaubar. Hier Röttgens kühler Sachverstand, dort Krafts Mutterbrust. In NRW zieht Letzteres mehr.
Oppositionsführer in Düsseldorf? Seine unklaren Antworten darauf hängen ihm nach. Gewinnt er die Wahl überraschend, ist er die neue große Nummer in der CDU, der Kronprinz. Verliert er sie, verliert er sie allein.
Eine neue Chance



Christian Lindner ist da wohl besser dran. Für einen 33-jährigen Politiker ohne jedes Regierungsamt ist sein Wikipedia-Eintrag schon erstaunlich lang. Zwar hat der liberale Spitzenkandidat bisher kaum greifbare Erfolge vorzuweisen - dafür aber eine andere Eigenschaft: Er ist ein Hoffnungsträger für viele in der Bundes-FDP. Lindner weist derlei Ambitionen von sich, doch kennt er seine Wirkung. Vor einem Monat sollte er auf dem FDP-Parteitag in Karlsruhe eigentlich nur ein kurzes Grußwort abgeben. Stattdessen hielt er eine fulminante Rede, die die Röslers weit in den Schatten stellte. Eine brillante Rhetorik, treffende, selten verletzende Attacken auf den politischen Gegner, Belesenheit und eine Portion Nachdenklichkeit - Linder überzeugt wie Röttgen intellektuell. Er hat den "mitfühlenden Liberalismus" erfunden - den Versuch, die Partei aus der neoliberalen Ecke zu holen. Im vorigen Dezember erlitt Lindners Karriere jedoch einen abrupten Knick. Da trat er als FDP-Generalsekretär zurück, weil er sich mit Rösler zerstritten hatte. Damals überschätzte er seinen Rückhalt. Ein Dasein als Hinterbänkler im Bundestag stand ihm bevor. Als die NRW-Wahl ihm unversehens eine neue Chance bot, griff er beherzt zu. Volles Risiko. Falls er am Sonntag scheitert, hängt er für lange Zeit in Hinterzimmern fest. Aber falls er die fünf oder mehr Prozent schafft, kann er alles werden bei den Liberalen.

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