Das perfekte Frühwarnsystem gibt es nicht

Ein Säugling stirbt, weil er nichts isst, krank ist und seine Eltern mit der Situation überfordert sind. Auch die Behörden sind hilflos, denn sie wissen nichts von den Problemen der Familie. Dabei gibt es überall in der Region den Versuch, "Risikoeltern" möglichst frühzeitig zu erkennen und umfangreiche Hilfen anzubieten.

Trier/Bitburg. Das Jugendamt der Kreisverwaltung Bitburg-Prüm ist derzeit wahrlich nicht zu beneiden: Innerhalb eines Monats wurde der Behörde zwei Mal die Gesundheitsfürsorge für ein Baby übertragen, weil das zuständige Gericht eine "Gefährdung des Kindeswohls" sah und die Eltern entweder nicht gewillt oder in der Lage waren, diese Gefahr abzuwenden. In beiden Fällen kam die Übertragung der Obhut zu spät: Dem neun Wochen alten Jungen, der an den Folgen akuter Unterernährung und möglicherweise auch einem genetischen Defekt am Donnerstag starb, konnte ebenso wenig geholfen werden wie dem inzwischen acht Monate alten Jungen eines Paars von der Airbase Spangdahlem, der seit Mitte September mit irreparablen Hirnschäden im Koma liegt (der TV berichtete). Das Eingreifen der Behörden kam zu spät, weil sie nichts von den Problemen in den Familien wussten, sie gar nicht erst kannten. "Wie sollen wir das riechen, wenn die Eltern keinen Kontakt zu uns suchen und wir nichts gemeldet bekommen?", fragt Stephan Schmitz-Wenzel von der Kreisverwaltung Bitburg-Prüm und klingt dabei durchaus ratlos.

Dabei versuchen die Jugendämter in der Region seit längerem, ein verlässliches "Frühwarnsystem" aufzubauen, in dem belastete Familien möglichst rasch erkannt und ihnen Hilfsangebote unterbreitet werden - neben den laut dem rheinland-pfälzischen Kinderschutzgesetz ohnehin vorgesehenen Schutzmaßnahmen (siehe Extra). Im Landkreis Bernkastel-Wittlich etwa hat man eigens dafür eine zusätzliche pädagogische Fachkraft eingestellt, die sich schwerpunktmäßig darum kümmert, ein Netzwerk zwischen Gynäkologen, Hebammen, Kinderärzten, Krankenhäusern und vielen weiteren Institutionen zu betreuen, um Familien in schwierigen Lebenssituationen früh zu erkennen und zu kontaktieren. ´

Hilfe direkt nach der Entbindung



Auch in Trier gibt es seit 2006 eine Kooperation zwischen der Stadt und den drei Krankenhäusern. "Gemeinsam im Team beraten Ärzte, Hebammen und Krankenschwestern von der Entbindungsstation, ob es möglicherweise Risikofaktoren gibt, frischgebackenen Eltern also Unterstützung benötigen", erklärt Dorothee Wassermann, stellvertretende Jugendamtsleiterin in Trier. Direkt nach der Entbindung soll frühzeitig Hilfe angeboten werden - sei es durch eine Hebamme, die anschließend die Familie betreut, den Kontakt zu einer Beratungsstelle, die Vermittlung in eine Mutter-Kind-Gruppe oder in seltenen gravierenderen Fällen auch die Anordnung von Jugendhilfemaßnahmen. In fünf bis zehn Prozent der Entbindungen erachten die Mediziner ein solches Nachsorgeangebot für die Eltern als sinnvoll - ob diese das Angebot allerdings wahrnehmen, ist allein ihre Entscheidung. "Man kann sie nicht verpflichten", sagt Wassermann, "und genau deshalb werden auch immer Leute durch das Netz fallen." Dennoch habe sich diese Vorgehensweise in Trier bewährt.

Auch Schmitz-Wenzel von der Kreisverwaltung Bitburg-Prüm ist überzeugt, dass der Zeitraum, in der sich die Mutter zur Entbindung ins Krankenhaus begibt, der einzige Ansatzpunkt ist, an Risikofamilien ranzukommen. Derzeit gehen die Mitarbeiter des Jugendamts regelmäßig in das Bitburger Krankenhaus, um Krankenschwestern zu schulen und für das Thema zu sensibilisieren. Allerdings, so betont Schmitz-Wenzel, werde man darüber reden, wie sich die Kommunikation zwischen Krankenhaus und Behörde noch verbessern könne. Derzeit kontaktiert das Klinikpersonal in Bitburg die Schwangerenberatung der Caritas, wenn es nach der Entbindung Auffälligkeiten bei frischgebackenen Eltern feststellt. Ob diese jedoch die angebotene Hilfe annehmen, bleibt ihnen überlassen.

Umfrage

"Nachbarn sollten aufpassen und, wenn sie etwas bemerken, Jugendamt und Arzt darauf aufmerksam machen. Wenn nötig, versuchen, dem Kind direkt zu helfen." Amelia Radike, 34, Messerich "Als Außenstehender ist es oft schwer, zu bemerken, wenn eine Familie mit Kindern überfordert ist. Aber wenn man etwas merkt, sollte man versuchen, zu helfen. Mentor Gavrani, 18, Bitburg "Man müsste bei der Schwangerschaftsberatung und -vorbereitung schon versuchen, darauf zu achten, ob eine werdende Mutter überfordert sein könnte. Gerd Densing, 35, Blankenheim-Dollendorf "Es müsste mehr Kontrollen geben und mehr Aufklärung gemacht werden." Bernhard Jung, 44, Bitburg-Mötsch (zös)/TV-Fotos (4): Christine Zösmeier Extra Das Landesgesetz zum Schutz von Kindeswohl und Kindergesundheit sieht vor, dass alle Jugendämter im Land in ihrem Bezirk ein lokales Netzwerk bilden mit dem Ziel, durch Früherkennung von Risiken für Fehlentwicklungen sowie durch rechtzeitige Förderung und Hilfe einen wirksamen Schutz von Kindern vor Vernachlässigung, Missbrauch und Misshandlung zu erreichen. Beteiligte dieses Netzwerks sind unter anderem die Jugend-, Gesundheits- und Sozialämter, Schulen, Polizei- und Ordnungsbehörden, Krankenhäuser, Beratungsstellen, Familienbildungsstätten und viele mehr. Darüber hinaus sieht das Gesetz für Kinder ab der Geburt in regelmäßigen Abständen Früherkennungsuntersuchungen ("U-Untersuchungen") vor, zu deren Terminen die Eltern jeweils eine schriftliche Erinnerung erhalten. Der Kinderarzt, der die jeweilige Untersuchung vornimmt, bestätigt dem zuständigen "Zentrum für Kindervorsorge" in Homburg innerhalb von drei Tagen, dass er das Kind gesehen hat. Erhält das Zentrum keine Teilnahmebestätigung, meldet es den Fall dem Gesundheitsamt, das die Eltern kontaktiert. Bringen die Eltern dennoch ihr Kind nicht zu den Untersuchungen, wird das Jugendamt eingeschaltet. Die Jugendämter prüfen daraufhin unverzüglich, ob in der Familie ein Hilfebedarf vorliegt, und stellen die notwendigen und geeigneten Maßnahmen zur frühen Förderung und zum Schutz von Kindern zur Verfügung. Bis das Zentrum für Kindervorsorge allerdings überhaupt Kenntnis von der Existenz eines Kindes durch die zuständige Meldebehörde erhält, vergehen einige Wochen: Da die sogenannte "U3" bereits in der dritten und vierten Woche stattfindet, beginnt eine wirksame Kontrolle darüber, ob ein Säugling die erforderlichen Untersuchungen bekommen hat, erst ab der sogenannten "U4" (dritter oder vierter Monat). (neb)

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