Das Rätselraten um die braune Liste

Mainz · Das Neonazi-Trio aus Zwickau sorgt seit einer Woche bundesweit für Schlagzeilen. 500 Rheinland-Pfälzer fragen sich nun, weshalb sie ins Visier geraten sind und was das genau zu bedeuten hat - ihr Name taucht auf einer ominösen Liste auf.

Mainz. Umweltministerin Ulrike Höfken ist am Freitagmorgen auf dem Weg zum Vorlesetag in Wolsfeld (Eifelkreis Bitburg-Prüm), als das Telefon klingelt. Innenminister Roger Lewentz ruft an und teilt der Kabinettskollegin mit, dass auch ihr Name auf einer Liste steht, die auf einem USB-Stick der Terroristen gefunden wurde.
Zum Wohlbefinden der seit einer Woche erkrankten Ministerin trägt die Nachricht nicht bei. Besorgnis ruft sie aber ebenso wenig hervor. "Ich habe mich nicht gewundert", erzählt Höfken, die viele Jahre im Bundestag war. "Alle Abgeordneten der Grünen haben sich gegen Rechts engagiert."
Teilweise liest sich die Liste wie das Who is Who der wichtigsten Politiker des Landes. Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) steht drauf, sogar mit Privatadresse. Oder Sabine Bätzing (SPD), ehemalige Drogenbeauftragte der Bundesregierung. Oder die Integrationsbeauftragte Maria Böhmer (CDU). Oder der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium, Peter Bleser (CDU; siehe Interview unten). Dem Vernehmen nach enthält der Datenträger auch Namen von Vereinen und Privatleuten, die sich in kirchlichen oder anderen Organisationen gegen Rechtsradikalismus engagiert haben.
Das Innenministerium hält die Liste streng unter Verschluss. Auch Landtagsabgeordnete dürfen nicht hineinschauen. SPD-Fraktionschef Hendrik Hering gelingt immerhin ein kurzer Blick.
Kein Mensch weiß, nach welchen Kriterien die gelisteten Personen ausgesucht wurden. Oder warum wichtige Politiker, zum Beispiel CDU-Landeschefin Julia Klöckner, viele Jahre Bundestagsabgeordnete, außen vor blieben. "Das liegt nahe, denn die Liste soll sechs Jahre alt sein, und ich war damals weder Staatssekretärin noch Landesvorsitzende", sagt Klöckner.
Was die Neonazis damit bezweckten, Namen mit Adressen und teils mit Telefonnummern zu sammeln, bleibt offen. Die Liste wirkt laut Justizminister Jochen Hartloff (SPD) eher wie eine Namenssammlung.
Eines scheint sicher: "Es handelt sich nicht um eine Todesliste", sagt Innenminister Lewentz, der in ständigem Kontakt mit den Bundesbehörden steht. Auch lasse sich aktuell keine Bedrohung für Einzelne erkennen. Gleichwohl nehme man die Sache "sehr ernst". Vermutet wird, dass es den Terroristen möglicherweise um Einschüchterung ging.
Dem Ministerium obliegt die Aufgabe, die Betroffenen zu informieren. Offenbar werden die Prominenten angerufen, andere werden schriftlich benachrichtigt. Wahrscheinlich ist, dass die Verantwortlichen im Mainzer Innenministerium am Freitag auch noch nicht alle Betroffenen erreicht haben.
Wer genannt wird, kann sich nur einen Reim darauf machen: In irgendeiner Form hat er gegen Rechts demonstriert. Ulrike Höfken sagt: "Die Liste könnte noch viel länger werden. Das wäre der beste Schutz. Und damit würde noch klarer, dass diese Umtriebe nicht geduldet werden." Angst hat die Ministerin nach eigenem Bekunden nicht. "Ich vertraue auf mein Umfeld und die Polizei."
Bei allem Entsetzen über die Menschenverachtung und Gewaltbereitschaft des Zwickauer Trios sei es wichtig, die Friedensinitiativen weiter zu unterstützen und Jugendlichen Perspektiven zu bieten. Höfkens Wunsch: "Ich hoffe, dass sich die Gesellschaft noch viel deutlicher positioniert."

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