Das Ruhrgebiet hadert mit dem Soli: Jetzt ist mal der Westen dran

Berlin · West gegen Ost und umgekehrt: In Nordrhein-Westfalen wird der Solidarpakt, der seit dem Jahr 2001 die Finanzhilfen für die neuen Länder sichert, zum Wahlkampfthema. Mehrere Ruhrgebietsstädte wollen den Vertrag kündigen

Berlin. "Erst haben wir den Süden gefördert, dann den Osten", sagte Hannelore Kraft (SPD) am Montag vor Journalisten in Berlin. "Jetzt ist mal der Westen dran." Am Tag darauf meldeten sich die Bürgermeister von verarmten Ruhrgebietskommunen in der Süddeutschen Zeitung zu Wort. Tenor: Der Solidarpakt Ost sei "ein perverses System" (Dortmunds Oberbürgermeister Ulrich Sierau) und "nicht mehr zeitgemäß" (Essens Stadtoberhaupt Reinhard Paß). Es wirkte wie eine abgestimmte Aktion.
Klares Ziel der Bürgermeister ist es, die 2001 ausgehandelte und bis 2019 geltende Vereinbarung über die Finanzhilfen für die neuen Länder vorzeitig aufzukündigen. "Die wissen dort doch gar nicht mehr, wohin mit dem Geld", so Sierau. Der Chef der Ruhr-SPD und Oberbürgermeister von Gelsenkirchen, Frank Baranowski, fordert eine Bundesratsinitiative der künftigen Landesregierung, die am 13. Mai gewählt wird. "Wir können nicht bis 2019 warten."
Tatsächlich sind vor allem im Ruhrgebiet viele Städte bis über beide Ohren verschuldet; die Infrastruktur liegt vielerorts danieder. Allerdings hat die Not im Westen allenfalls sehr indirekt etwas mit dem Aufbau Ost zu tun. Denn den Solidarpakt II, 156 Milliarden Euro für den Zeitraum 2005 bis 2019, zahlt der Bund. Im Bundesrat dürfte es für die vorzeitige Aufkündigung des Solidarpaktes zudem keine Mehrheit geben, erst recht nicht im Bundestag. Jede Partei will schließlich 2013 die Bundestagwahlen gewinnen - auch im Osten. Das Ganze ist wohl eher ein Wahlkampfthema in Nordrhein-Westfalen, der Versuch, die Unzufriedenheit in der eigenen Region aufzunehmen.
Die Sprecherin der ostdeutschen SPD-Abgeordneten, Iris Gleicke, schoss schon mal eine Breitseite ab. Gegenüber unserer Zeitung sagte sie: "Wer behauptet, die Förderung müsse endlich nach Bedürftigkeit und nicht nach Himmelsrichtung gehen, hat keine Ahnung von den nach wie vor bestehenden strukturellen Nachteilen im Osten." So stagniere die Wirtschaftskraft in den neuen Ländern seit Jahren bei fast 30 Prozent unter Westniveau, die Arbeitslosigkeit sei noch immer fast doppelt so hoch. Ganz zu schweigen von der nach wie vor auseinanderklaffenden Schere bei Einkommen und Renten, so Gleicke.
Die frühere Staatssekretärin im Bauministerium erkannte die Schwierigkeiten vieler nordrhein-westfälischer Städte und Gemeinden allerdings ausdrücklich an. "Niemand nimmt das auf die leichte Schulter". Doch seien die Probleme "wie im Osten Folge ihrer strukturellen Schwäche und im Übrigen der Tatsache geschuldet, dass die Kommunen immer mehr Aufgaben vom Bund aufgebürdet bekommen".
Auch der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Stephan Articus, redete gestern lieber über die "Handlungsfähigkeit der Kommunen" im Allgemeinen. Tatsächlich sei die Lage vieler Städte in den alten Ländern genauso schwierig wie in den neuen Ländern, sagte Articus. "Die strukturelle Notlage vieler Städte hat ein Ausmaß angenommen, das nicht mehr hingenommen werden kann". Die Kassenkredite der Kommunen beliefen sich bundesweit auf 44 Milliarden Euro. "Das Thema muss unbedingt auf der Tagesordnung bleiben", so sein Fazit.Extra

Die kommunalen Spitzenverbände und die CDU in Rheinland-Pfalz haben angesichts der dramatisch verschuldeten Gemeinden einen Nachtragshaushalt des Landes gefordert. Jeweils 200 Millionen Euro zusätzlich müssten die Kommunen 2012 und 2013 bekommen, sagte der geschäftsführende Direktor des Landkreistages, Ernst Beucher, gestern in Mainz. In den Folgejahren müssten es jeweils 300 Millionen Euro sein. Der Vorsitzende des Gemeinde- und Städtebundes, Aloysius Söhngen, kündigte bis zum Herbst ein Gutachten mit Vorschlägen für eine Reform des kommunalen Finanzausgleichs an. Es gehe um langfristige Korrekturen, um lebensfähige Gemeinden zu erhalten. Der neue Vorsitzende des Städtetags, der Trierer Oberbürgermeister Klaus Jensen (SPD), sagte, nötig sei auch eine gesellschaftspolitische Debatte über die steigenden Sozialausgaben. dpa

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